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Statement zur Stellungnahme des AStA Münster zur Gruppe Palästina Antikolonial
Als jüdischer Verein, der sich gegen Rassismus und für Gerechtigkeit sowohl in Deutschland als auch im Nahen Osten einsetzt, widersprechen wir aufs Schärfste der Charakterisierung der Gruppe Palästina Antikolonial als antisemitisch aufgrund ihrer Aussagen zur Situation in Israel-Palästina. Um diesen Widerspruch zu begründen, möchten wir auf die vier Punkte eingehen, die Sie in Ihrer Stellungnahme angeführt haben.
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Statement zur Stellungnahme des AStA Münster zur Gruppe Palästina Antikolonial vom 02.12.2020, sowie zur anschließenden Einordnung derselben als antisemitisch am 15.12.2020
Als jüdischer Verein, der sich gegen Rassismus und für Gerechtigkeit sowohl in Deutschland als auch im Nahen Osten einsetzt, widersprechen wir aufs Schärfste der Charakterisierung der Gruppe Palästina Antikolonial als antisemitisch aufgrund ihrer Aussagen zur Situation in Israel-Palästina. Um diesen Widerspruch zu begründen, möchten wir auf die vier Punkte eingehen, die Sie in Ihrer Stellungnahme angeführt haben.
1) Kundgebung „Nein zur Annexion“ am 25.7.2020
Dass Sie die Beschreibung von Israel als siedlerkolonialistischen Staat mit apartheidähnlichen Strukturen für „widerlegt“ halten, zeugt von mangelnder Sachkenntnis. Eine ausführliche Begründung für diese Festlegung finden Sie unter anderem in akademischen Standardwerken wie The Birth of the Palestinian Refugee Problem 1947–1949 von Benny Morris und Die ethnische Säuberung Palästinas von Ilan Pappé, deren Autoren übrigens beide israelische Historiker sind. Im Jahre 2017 hat die Wirtschafts- und Sozialkommission für Westasien (ESCWA), eine Kommission der Vereinten Nationen, den von internationalen Expert*innen verfassten Bericht „Israeli Practices towards the Palestinian People and the Question of Apartheid“ veröffentlicht, in dem gemäß Paragraph II der Internationalen Konvention über die Unterdrückung und Bestrafung des Verbrechens der Apartheid (1973) ausdrücklich behauptet und belegt wird, dass Israel nach der international etablierten Definition in der Tat Apartheid praktiziert. Natürlich steht es Ihnen frei, Gegenargumente anzuführen; diese Aussage als „Deligitimierung und Dämonisierung“ zu beschreiben ist aber schlicht unseriös, zumal damit der schwerwiegende Vorwurf des Antisemitismus begründet werden soll.
Weiter suggerieren Sie, dass der Ruf „From the River to the Sea, Palestine will be free“ an sich antisemitisch sei. Dabei fordert er lediglich, dass diese Region – also das historische Palästina, das erst ab 1948 „Israel“ genannt wurde – von der Ungerechtigkeit befreit werden soll, die gegenwärtig herrscht. Die von manchen beschworene „Zerstörung“ Israels ist dabei nicht das Ziel, sondern die Beendigung von Besatzung und Ungleichheit. Und was den palästinensischen Widerstand betrifft, so ist das Recht auf Widerstand gegen militärische Besatzung im Zusatzprotokoll I der Genfer Konvention von 1977 verbrieft. Selbstverständlich verurteilen sowohl Palästina Antikolonial als auch die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost Anschläge auf Zivilist*innen, die abscheulich und menschenverachtend sind. Die Delegitimierung von bewaffnetem Widerstand an sich entspricht aber keiner völkerrechtlichen Norm.
Natürlich war Palästina eine Zuflucht für verfolgte Jüd*innen aus Europa. Bevor der Staat Israel entstehen konnte, mussten aber etwa 750.000 Palästinenser*innen vertrieben werden, begleitet von zahlreichen Massakern und der Zerstörung vieler Dörfer. Unter diesen Umständen ist der Ausdruck „Schutzraum“ ein wenig harmlos, und löscht im Grunde die Existenz der Palästinenser*innen in dieser Region aus. Der Schutz eines Volkes darf nicht durch die Verfolgung eines anderen stattfinden. Die inhaltslose Floskel vom „Existenzrecht Israels“ hat außerdem keine völkerrechtliche Bedeutung; Menschen, nicht Staaten, haben ein Existenzrecht. Und die Existenz der Palästinenser*innen ist viel stärker bedroht als die des Staates Israel. Das sind keine „antiisraelischen Stereotypen“, sondern seit Jahrzehnten belegte Fakten.
2) Solidarität mit der Gruppe „Samidoun Deutschland“
Siehe 1). Bewaffneter Widerstand gegen militärische Besatzung – nicht Zivilist*innen – ist völkerrechtlich legitimiert.
3) Facebook-Post vom 22.11.2020
Sie nennen die Beschreibung des Holocaust als „Werkzeug, das manipuliert werden kann“ eine Variation eines „antisemitischen Motivs“. Dabei haben israelische Politiker*innen diese Instrumentalisierung offen zugegeben; die israelische Zeitung Ha’aretz hat 2015 berichtet, wie eine Sprecherin der israelischen Botschaft in Berlin sagte, das Aufrechterhalten des deutschen nationalen Schuldgefühls sei im Interesse Israels. Premierminister Netanjahu hat die Einschränkung des Siedlungsbaus in der Westbank als Versuch beschrieben, sie „judenrein“ zu machen – ein zynischer Missbrauch einer Nazi-Vokabel als politisches Druckmittel. Deutschen Leser*innen sind die Bücher von M. Zuckermann Zweierlei Holocaust (1998) und Israels Schicksal (2015), die unmissverständlich diese Instrumentalisierung und ihre verheerende Wirkung schildern, schon längst bekannt. Der AStA bringt also auch hier sein Unwissen zum Ausdruck, nach dem Motto „Was nicht sein darf, kann nicht sein“.
4) Fehlende Reflexionsbereitschaft
Sie bemängeln, dass Palästina Antikolonial unberechtigte Vorwürfe nicht akzeptiert, und stellen dies als Lernunfähigkeit dar. Passenderweise führen Sie den Fall der Migrantifa Hessen an, die sich leider durch den Antisemitismusvorwurf des Frankfurter Stadtkämmerers Uwe Becker einschüchtern ließ, und nicht die nötige Erfahrung mit solchen Situationen hatte, um solche Behauptungen wirksam zu entkräften. Wir wissen aber sehr wohl, was Antisemitismus bedeutet, und bekräftigen die Ablehnung dieses Vorwurfs ausdrücklich als illegitim. Nebenbei angemerkt prahlt Uwe Becker auch damit, Wein aus völkerrechtswidrigen Siedlungen zu trinken, und hat erst im Dezember widerrechtlich versucht, eine Veranstaltung in Frankfurt zu unterbinden – die zum Glück gerichtlich durchgesetzt wurde.
Zudem stellt der Versuch, Palästina Antikolonial mit Hinweis auf die BDS-Bewegung nach dem Prinzip der Kontaktschuld anzugreifen, ein schwaches argumentatives Mittel dar. Abgesehen von der Frage, inwieweit irgendwelche Beziehungen bestehen, haben die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages am 21.12.2020 eine Überprüfung der Anti-BDS-Bundestagsresolution abgeschlossen. Im anschließenden Bericht kommen sie zu dem Schluss, dass die Resolution für den geforderten Entzug von Räumen und Mitteln „keine Grundlage darstellt, die eine solche Einschränkung rechtfertigen könnte“. Zudem wird die Resolution – die noch einmal eindeutig als unverbindliche „Meinungsäußerung“ gekennzeichnet wird – als unbegründete Beschneidung der Meinungsfreiheit beschrieben, die als Gesetz verfassungswidrig wäre. Dies sollte all denen zu denken geben, die das bloße Nennen von BDS als Argument anführen, besonders dann, wenn sie die völkerrechtskonformen Ziele der Bewegung gar nicht hinreichend kennen.
Wir lehnen den Missbrauch des Antisemitismusvorwurfs zur Diffamierung der Palästina-Solidarität nachdrücklich ab. Antisemitismus ist nicht dort zu finden, wo Gerechtigkeit für unterdrückte Volksgruppen gefordert wird, sondern dort, wo jüdische Menschen als solche angefeindet werden. Es gibt reichlich Jüd*innen auf der Welt, die sich weder mit der Politik Israels noch mit der politischen Ideologie des Zionismus identifizieren. Durch Ihre unredliche Diffamierung bezwecken Sie nicht den Schutz jüdischen Lebens, sondern lenken vielmehr von der Gefahr des wirklichen Antisemitismus ab und verzerren das Verständnis davon, was Antisemitismus überhaupt bedeutet. Sie setzen jüdische Menschen mit dem Staat Israel gleich, was wiederum eine antisemitische Verallgemeinerung darstellt und auch Feindschaft gegenüber jüdischen Student*innen fördert, die gegen die in ihrem Namen ausgeübte Gewalt protestieren wollen. Wir fordern Sie als jüdische, zum Teil auch israelische Menschenrechtsaktivisten auf, diese falsche Vorstellung gründlich zu überdenken und solche diffamierenden Behauptungen zu unterlassen.
Wieland Hoban
für den Vorstand
Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost
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Statement zur Stellungnahme des AStA Münster zur Gruppe Palästina Antikolonial vom 02.12.2020, sowie zur anschließenden Einordnung derselben als antisemitisch am 15.12.2020
Als jüdischer Verein, der sich gegen Rassismus und für Gerechtigkeit sowohl in Deutschland als auch im Nahen Osten einsetzt, widersprechen wir aufs Schärfste der Charakterisierung der Gruppe Palästina Antikolonial als antisemitisch aufgrund ihrer Aussagen zur Situation in Israel-Palästina. Um diesen Widerspruch zu begründen, möchten wir auf die vier Punkte eingehen, die Sie in Ihrer Stellungnahme angeführt haben.
1) Kundgebung „Nein zur Annexion“ am 25.7.2020
Dass Sie die Beschreibung von Israel als siedlerkolonialistischen Staat mit apartheidähnlichen Strukturen für „widerlegt“ halten, zeugt von mangelnder Sachkenntnis. Eine ausführliche Begründung für diese Festlegung finden Sie unter anderem in akademischen Standardwerken wie The Birth of the Palestinian Refugee Problem 1947–1949 von Benny Morris und Die ethnische Säuberung Palästinas von Ilan Pappé, deren Autoren übrigens beide israelische Historiker sind. Im Jahre 2017 hat die Wirtschafts- und Sozialkommission für Westasien (ESCWA), eine Kommission der Vereinten Nationen, den von internationalen Expert*innen verfassten Bericht „Israeli Practices towards the Palestinian People and the Question of Apartheid“ veröffentlicht, in dem gemäß Paragraph II der Internationalen Konvention über die Unterdrückung und Bestrafung des Verbrechens der Apartheid (1973) ausdrücklich behauptet und belegt wird, dass Israel nach der international etablierten Definition in der Tat Apartheid praktiziert. Natürlich steht es Ihnen frei, Gegenargumente anzuführen; diese Aussage als „Deligitimierung und Dämonisierung“ zu beschreiben ist aber schlicht unseriös, zumal damit der schwerwiegende Vorwurf des Antisemitismus begründet werden soll.
Weiter suggerieren Sie, dass der Ruf „From the River to the Sea, Palestine will be free“ an sich antisemitisch sei. Dabei fordert er lediglich, dass diese Region – also das historische Palästina, das erst ab 1948 „Israel“ genannt wurde – von der Ungerechtigkeit befreit werden soll, die gegenwärtig herrscht. Die von manchen beschworene „Zerstörung“ Israels ist dabei nicht das Ziel, sondern die Beendigung von Besatzung und Ungleichheit. Und was den palästinensischen Widerstand betrifft, so ist das Recht auf Widerstand gegen militärische Besatzung im Zusatzprotokoll I der Genfer Konvention von 1977 verbrieft. Selbstverständlich verurteilen sowohl Palästina Antikolonial als auch die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost Anschläge auf Zivilist*innen, die abscheulich und menschenverachtend sind. Die Delegitimierung von bewaffnetem Widerstand an sich entspricht aber keiner völkerrechtlichen Norm.
Natürlich war Palästina eine Zuflucht für verfolgte Jüd*innen aus Europa. Bevor der Staat Israel entstehen konnte, mussten aber etwa 750.000 Palästinenser*innen vertrieben werden, begleitet von zahlreichen Massakern und der Zerstörung vieler Dörfer. Unter diesen Umständen ist der Ausdruck „Schutzraum“ ein wenig harmlos, und löscht im Grunde die Existenz der Palästinenser*innen in dieser Region aus. Der Schutz eines Volkes darf nicht durch die Verfolgung eines anderen stattfinden. Die inhaltslose Floskel vom „Existenzrecht Israels“ hat außerdem keine völkerrechtliche Bedeutung; Menschen, nicht Staaten, haben ein Existenzrecht. Und die Existenz der Palästinenser*innen ist viel stärker bedroht als die des Staates Israel. Das sind keine „antiisraelischen Stereotypen“, sondern seit Jahrzehnten belegte Fakten.
2) Solidarität mit der Gruppe „Samidoun Deutschland“
Siehe 1). Bewaffneter Widerstand gegen militärische Besatzung – nicht Zivilist*innen – ist völkerrechtlich legitimiert.
3) Facebook-Post vom 22.11.2020
Sie nennen die Beschreibung des Holocaust als „Werkzeug, das manipuliert werden kann“ eine Variation eines „antisemitischen Motivs“. Dabei haben israelische Politiker*innen diese Instrumentalisierung offen zugegeben; die israelische Zeitung Ha’aretz hat 2015 berichtet, wie eine Sprecherin der israelischen Botschaft in Berlin sagte, das Aufrechterhalten des deutschen nationalen Schuldgefühls sei im Interesse Israels. Premierminister Netanjahu hat die Einschränkung des Siedlungsbaus in der Westbank als Versuch beschrieben, sie „judenrein“ zu machen – ein zynischer Missbrauch einer Nazi-Vokabel als politisches Druckmittel. Deutschen Leser*innen sind die Bücher von M. Zuckermann Zweierlei Holocaust (1998) und Israels Schicksal (2015), die unmissverständlich diese Instrumentalisierung und ihre verheerende Wirkung schildern, schon längst bekannt. Der AStA bringt also auch hier sein Unwissen zum Ausdruck, nach dem Motto „Was nicht sein darf, kann nicht sein“.
4) Fehlende Reflexionsbereitschaft
Sie bemängeln, dass Palästina Antikolonial unberechtigte Vorwürfe nicht akzeptiert, und stellen dies als Lernunfähigkeit dar. Passenderweise führen Sie den Fall der Migrantifa Hessen an, die sich leider durch den Antisemitismusvorwurf des Frankfurter Stadtkämmerers Uwe Becker einschüchtern ließ, und nicht die nötige Erfahrung mit solchen Situationen hatte, um solche Behauptungen wirksam zu entkräften. Wir wissen aber sehr wohl, was Antisemitismus bedeutet, und bekräftigen die Ablehnung dieses Vorwurfs ausdrücklich als illegitim. Nebenbei angemerkt prahlt Uwe Becker auch damit, Wein aus völkerrechtswidrigen Siedlungen zu trinken, und hat erst im Dezember widerrechtlich versucht, eine Veranstaltung in Frankfurt zu unterbinden – die zum Glück gerichtlich durchgesetzt wurde.
Zudem stellt der Versuch, Palästina Antikolonial mit Hinweis auf die BDS-Bewegung nach dem Prinzip der Kontaktschuld anzugreifen, ein schwaches argumentatives Mittel dar. Abgesehen von der Frage, inwieweit irgendwelche Beziehungen bestehen, haben die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages am 21.12.2020 eine Überprüfung der Anti-BDS-Bundestagsresolution abgeschlossen. Im anschließenden Bericht kommen sie zu dem Schluss, dass die Resolution für den geforderten Entzug von Räumen und Mitteln „keine Grundlage darstellt, die eine solche Einschränkung rechtfertigen könnte“. Zudem wird die Resolution – die noch einmal eindeutig als unverbindliche „Meinungsäußerung“ gekennzeichnet wird – als unbegründete Beschneidung der Meinungsfreiheit beschrieben, die als Gesetz verfassungswidrig wäre. Dies sollte all denen zu denken geben, die das bloße Nennen von BDS als Argument anführen, besonders dann, wenn sie die völkerrechtskonformen Ziele der Bewegung gar nicht hinreichend kennen.
Wir lehnen den Missbrauch des Antisemitismusvorwurfs zur Diffamierung der Palästina-Solidarität nachdrücklich ab. Antisemitismus ist nicht dort zu finden, wo Gerechtigkeit für unterdrückte Volksgruppen gefordert wird, sondern dort, wo jüdische Menschen als solche angefeindet werden. Es gibt reichlich Jüd*innen auf der Welt, die sich weder mit der Politik Israels noch mit der politischen Ideologie des Zionismus identifizieren. Durch Ihre unredliche Diffamierung bezwecken Sie nicht den Schutz jüdischen Lebens, sondern lenken vielmehr von der Gefahr des wirklichen Antisemitismus ab und verzerren das Verständnis davon, was Antisemitismus überhaupt bedeutet. Sie setzen jüdische Menschen mit dem Staat Israel gleich, was wiederum eine antisemitische Verallgemeinerung darstellt und auch Feindschaft gegenüber jüdischen Student*innen fördert, die gegen die in ihrem Namen ausgeübte Gewalt protestieren wollen. Wir fordern Sie als jüdische, zum Teil auch israelische Menschenrechtsaktivisten auf, diese falsche Vorstellung gründlich zu überdenken und solche diffamierenden Behauptungen zu unterlassen.
Wieland Hoban
für den Vorstand
Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost