Prof. Irene Schneider von der Universität Göttingen an die Uni-Präsidentin
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Prof. Irene Schneider von der Universität Göttingen an die Uni-Präsidentin

Als Professorin für Arabistik/Islamwissenschaft mit einem Forschungs- und Lehrschwerpunkt auf Palästina erlaube ich mir, mich ebenfalls zu Wort zu melden. Ich schließe mich ausdrücklich dem Schreiben meines Kollegen Prof. Kai Ambos und den vielen anderen Schreiben an und kann nicht verstehen, dass Sie sich von der Verleihung des Göttinger Friedenspreises an die „Jüdischen Stimmen“ zurückziehen. Mit welcher Begründung sollte dies geschehen?

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Prof. Dr. Irene Schneider

Universitätsprofessorin der Georg-August-Universität Göttingen

Seminar für Arabistik/Islamwissenschaft Derz. Wissenschaftskolleg

Wallotstr. 19 14193 Berlin

An

den Oberbürgermeister der Stadt Göttingen

die Präsidentin der Universität Göttingen

den Vorstandsvorsitzenden der Sparkasse Göttingen

cc Stiftung Dr. Roland Röhl und Herrn Zumach alle per e-mail Berlin, den 6.3.2019

Sehr geehrter Herr Köhler, sehr geehrte Frau Beisiegel, sehr geehrter Herr Hald,

Als Professorin für Arabistik/Islamwissenschaft mit einem Forschungs- und Lehrschwerpunkt auf Palästina erlaube ich mir, mich ebenfalls zu Wort zu melden. Ich schließe mich ausdrücklich dem Schreiben meines Kollegen Prof. Kai Ambos und den vielen anderen Schreiben an und kann nicht verstehen, dass Sie sich von der Verleihung des Göttinger Friedenspreises an die „Jüdischen Stimmen“ zurückziehen. Mit welcher Begründung sollte dies geschehen? In einer sehr lapidaren Mail an alle Universitätmitarbeiter_innen vom 28.2.2019 schreiben Sie, sehr geehrte Frau Präsidentin, sie wollten sich nicht „einseitig positionieren“ und die „Neutralität wahren“. Ihr Rückzug ist doch aber eine klare Positionierung eben gerade gegen die „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden im Nahen Osten“. Es ist zugleich eine Positionierung gegen die Chance, in einer schwierigen politischen Situation im Nahen Osten ein Zeichen für eine friedliche Lösung zu setzen. Wie Ihnen ja allen bekannt ist, stehen in Israel Wahlen an (9.4.19), es gibt Parteien, die offen von der Annexion der C-Gebiete der West Bank sprechen (s. Bericht in Haaretz am 4.3.2019 über die neu gegründete Partei Hayamin Hehadash, geführt von zwei Ministern der gegenwärtigen Regierung). Eine friedliche Zwei-Staaten-Lösung scheint in immer weitere Ferne zu rücken. Gerade deshalb hätte Ihre Beteiligung an der Preisverleihung für Universität, Stadt und Sparkasse einen Akzent für eine humane und tolerante Welt gesetzt.

Bedauerlicherweise sind Sie, sehr geehrte Frau Präsidentin, meinem damaligen Vorschlag (WS 2016/17) nicht gefolgt, eine Begriffsdiskussion zum „Antisemitismus“ an unserer Universität zu führen. Das hat zur Folge, dass „Antisemitismus“, der absurderweise den „Jüdischen Stimmen“ untergeschoben wird, immer mehr zu einer Worthülse mutiert. Es ist offensichtlich, dass damit Kritik an der Politik der israelischen Regierung und Kritik an der völkerrechtswidrigen Besetzung Palästinas durch Israel erstickt wird. Dabei ist die Unterscheidung sehr einfach: die Verunglimpfung und Beleidigung des jüdischen Volkes und/oder einzelner seiner Vertreter_innen und das Absprechen des Existenzrechts Israels sind antisemitisch. Kritik an der Regierungspolitik Israels und an der Politik in den besetzten Gebieten muss hingegen in einem demokratischen Land – und Israel gilt zurecht als ein demokratisches Land – möglich sein. Ob „Boycott, divestment, sanctions“ (BDS) ein sinnvolles Mittel ist, um die Besatzung zu beenden, kann man kritisch diskutieren. Ich selbst bin nicht dieser Auffassung und habe wissenschaftliche Kooperationen mit israelischen und palästinensischen Wissenschaftler_innen. Es ist dies aber eine politische Diskussion, denn keinesfalls ist die Unterstützung von BDS „antisemitisch“ – hier verweise ich auf eine Stellungnahme des hoch geachteten israelischen Kollegen, Moshe Zimmermann in der taz (http://www.taz.de/ArchivSuche/!5577141&s=Moshe%2BZimmermann/).

Als Professorin der Universität Göttingen empfinde ich deshalb diesen Rückzug aus der Preisverleihung nicht nur als einseitig und damit eine Stellung beziehend, sondern auch als traurig und beschämend vor dem Hintergrund des Leitbilds der Universität Göttingen, in dem es heißt, die Universität wolle „ihre Kräfte für die Gestaltung einer humanen, toleranten und friedlichen Welt“ einsetzen. Der Verpflichtung, „die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen der Zeit in kritischer Reflexion zu berücksichtigen“ (https://www.uni-goettingen.de/de/43883.html) wird dieser Rückzug ebenfalls nicht gerecht.

Mit freundlichen Grüßen

Irene Schneider