Kundgebung, 20. September 2011
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Kundgebung, 20. September 2011

Ich stehe heute als Jüdin und Israelin solidarisch mit unseren palästinensischen Mitstreitern vor dem Auswärtigen Amt, um dem Außenminister im Namen der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost mitzuteilen, dass es keinen Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinenser gibt, dass keine israelische Regierung je bereit war, die notwendigen Bedingungen für einen lebensfähigen, souveränen palästinensischen Staat herzustellen. Es hat viel zu lang gedauert, bis nach endlosen Verhandlungen die Maske der „Frieden suchenden Politik Israels“ entlarvt worden ist und die meisten Länder der Welt die bittere Realität erkannten. Der Nebel musste sich erst lichten, bis die fortschreitende völkerrechtswidrige Besiedlung der besetzten Gebiete im Schatten der Verhandlungen wahrgenommen wurde: Tagtäglich wurde und wird noch Land konfisziert und enteignet; palästinensische Dörfer und Städte werden dadurch lahmgelegt.

Es sind das mächtige Amerika und das mächtige vereinigte Deutschland in Europa, die für diesen verlogenen und von Bedeutung entleerten Begriff „Friedensprozess“ und für „Verhandlungen“ plädieren, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Nach 30 Jahren gescheiterter Verhandlungen sollte es klar sein, Herr Außenminister, dass Verhandlungen jetzt nicht der geeignete Weg sind, um die fortschreitende Okkupation, Enteignung und Vertreibung mit ihren verheerenden Folgen zu beenden.

Es war auch keine gemeinsame Verhandlung der arabischen Staaten oder der Araber im Mandatsgebiet mit der jüdischen Bevölkerung dort, die zu der Entscheidung der UNO über die Teilung Palästinas 1947 oder die Aufnahme Israels in die UNO 1949 geführt hat.

In einem gemeinsamen Brief der Jüdischen Stimme und der palästinensischen Gemeinde – Hannover bereits im Mai dieses Jahres haben wir uns an Sie, Herr Außenminister, und an die Bundeskanzlerin gewandt. Wir haben dort unser Unverständnis zu der Ankündigung, den Anerkennungsantrag seitens der Palästinenser abzulehnen, geäußert. Ich zitiere:

„Der UNO-Beschluß 181 aus den Jahr 1947 sah die Teilung Palästinas in einen arabischen und in einen jüdischen Teil vor. Es wurde nicht beschlossen, dass Palästina durch Israel ersetzt wird. Es wurde auch nicht beschlossen, dass ein unabhängiger palästinensischer Staat erst durch Verhandlungen oder gar Zustimmung Israels entsteht.

Die Entstehung eines palästinensischen Staates ist eine längst überfällige Selbstverständlichkeit.“

Wir bekräftigten unserer Aufforderung an die deutsche Regierung in der Septemberausgabe der Jüdischen Zeitung, den Staat Palästina innerhalb der seit 1967 von Israel besetzten Gebiete – Ostjerusalem, Westbank und Gaza - anzuerkennen, den längst fälligen Schritt zu vollziehen und die Aufnahme des Staates Palästina als Mitglied der Vereinten Nationen zu unterstützen.

Wir machen uns nicht vor, ein durch die UNO anerkannter Staat werde alleine die illegale Okkupation Palästina beenden können und in der Lage sein, die Rechte der Palästinenser und der palästinensischen Flüchtlinge innerhalb der besetzten Gebiete wie außerhalb dieser Gebiete effektiv zu schützen. Die Aufnahme Palästinas als Staat der UNO sorgt aber erst einmal für eine rechtlich ebenbürtige Ausgangsposition bei unverzichtbaren Verhandlungen. Israel wird sich einem von der UNO anerkannten Staat stellen müssen und nicht, wie es oft behauptet hat, einem angeblichen „Volk von Terroristen“. Aufrichtigere Verhandlungen werden sich unter anderem mit der Anerkennung des Unrechts befassen müssen, das den  Nakba-Flüchtlingen widerfahren ist und mit annehmbaren Lösungen angesichts dieses Leids von hunderttausenden von Menschen.

Mit der Aufnahme Palästinas in die UNO sollte die Weltstaatengemeinschaft ihre Verpflichtungen und ihr Engagement auf der Grundlage der Allgemeinen Erklärung der  Menschenrechte und des Völkerrechts insgesamt bekräftigen und geeignete Mittel anwenden, um ihren Resolutionen Glaubwürdigkeit zu verleihen.

Nicht die Duldung einer illegalen und verbrecherischen Besatzungspolitik Israels durch die deutsche Regierung, die Duldung einer rechtextremen, fundamentalistischen Politik, die jeglichen Friedensverhandlungen im Wege steht, sind der passende Ausdruck für die Sorge und die historische Verantwortung für das Land und seine Bevölkerung. Die historische Verantwortung Deutschlands muss sich auch auf das Schicksal der Palästinenser erstrecken. Die Anerkennung Palästinas und seine Aufnahme in die Weltstaatengemeinschaft würden ein angemessener Akt sein, um dieser Verantwortung gerecht zu werden.
Michal Kaiser-Livne

Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost