Gedenkveranstaltung der palästinensischen Gemeinschaft in Berlin
31. März 2012
Fanny-Michaela Reisin
Grußbotschaft d. Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost – EJJP Germany
Ihre Exzellenz Herr Botschafter Palästinas
Herr Dr. Manhouf,
Sehr geehrte Damen und Herren,
Vorrede
Im Namen der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost bekunde ich heute, am Tag des Bodens unsere Solidarität mit allen durch Israel vertriebenen, enteigneten und entrechteten Palästinenser und Palästinenserinnen.
In Gedenken an die sechs Ermordeten während des Generalstreiks israelischer Palästinenser gegen einen abermaligen Landraub am 30. März 1976 will ich mich heute zur Frage von Land und Boden äußern und nicht auf die allgemeine Situation der Palästinenser im Kampf um die nationale Selbstbestimmung eingehen.
Gestatten Sie vorab einen kleinen historischen Rückblick zur Bedeutung von Land und Boden in Palästina.
Das arabische Palästina beruhte vor 1948 vorrangig auf Landwirtschaft. Mehr als 75% der palästinensischen Bevölkerung lebte vor der Gründung des Staats Israel 1948 von der Landwirtschaft. Landwirtschaft blieb aber auch für die nach dem großen Exodus, d. h. der Vertreibung und Flucht sowie den Wirkungen des 1948er Kriegs auf israelischem Gebiet verbliebenen oder in ihre Wohnorte zurückgekehrten 156 000 Palästinenser und Palästinenserinnen zentral.
„Land und Boden” haben in diesem Teil des Orients nicht nur jene wirtschaftliche Bedeutung, die ihnen überall auf der Welt zugeschrieben wird. Hier prägen sie die gemeinschaftliche Identität, die Abstammung und Herkunft; sind Bestandteil der eigenen Würde und der Ehre der Familie. „Land und Boden“ sind die Quelle und das Ziel all der Empfindungen, die Palästinenser und Palästinenserinnen als „Liebe zur Heimat“ bezeichnen:
Es sind der Feigen- und der Olivenbaum, der Olivenhain, die Bohnenbeete (Ful), die Weizenähren oder das Gras für die Schafe, die der Boden „unserer Familie" so gedeihen lässt, wie kein Boden sonst auf der Welt. Es sind das Licht, die Gerüche der Zitrusblüten, von Kardamon, Jasmin und Maramia; es ist die Musik der Zikaden und von ferne rufenden Muezzins, die unser Land so einmalig machen.
„Judaisierung“ des Bodens heißt „Ent-Arabisierung“ des Lands
„Judaisierung des Bodens“ war und ist der wirtschaftliche und ideologische Kern der zionistischen Kolonisierungspolitik in Palästina. Im Prinzip von Anfang an, d. h. seit Ende des 19. Jahrhunderts und offensiv ab der zweiten Hälfte der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts.
„Judaisierung des Bodens“ hieß seit den ersten zionistischen Einwanderungen unmissverständlich: „Ent-Arabisierung“ des orientalischen, von Einheimischen muslimischen, christlichen und jüdischen Glaubens seit Jahrhunderten bewohnten und also zu keinem Zeitpunkt der Geschichte unbevölkerten Lands, das – so viel ist ebenfalls faktisch belegt – seit je her immer genügend Platz für alle dort Lebenden hatte.
Die zentralen Elemente der zionistischen Siedlungspolitik des 20. Jahrhunderts:
Transfer bzw. systematisch geplante und durchgeführte Vertreibung
Terror und Repressionen zur Erzwingung der „freiwilligen“ Abwanderung
Das Gesetz zur Enteignung von abwesenden Grund- und Bodenbesitzern vom März 1950 (Absentee Law)
Das so genannte Rückkehrrecht vom Juli 1950, das jeden Menschen jüdischer Herkunft zur privilegierten und übrigens auch alimentierten Einwanderung nach Israel berechtigt (Law of Return).
Unmittelbar ein Jahr nach Beendigung des Kriegs zwischen Israel und den umliegenden arabischen Staaten sowie der Aufnahme Israels als 59. UNO-Staat im März 1949 wurden die beiden unter 3. und 4. genannten Gesetze verabschiedet. Sie sind bis heute Antrieb der Enteignung und Schmieröl der jüdischen Besiedlung palästinensischen Grund und Bodens.
Die Politik des so genannten Transfers ist das Kernelement der zionistischen und nach wie vor ausdrücklich Kalkül und Option der israelischen Innenpolitik.
Ich werde noch auf die gegenwärtige Situation in Ost-Jerusalem oder Al-Araquib in der Negev-Wüste zu sprechen kommen.
Vertreibung als systematische Politik mit dem Ziel eines jüdischen (Groß-) Israels
Die Konzeption und systematische Planung der Ent-Arabisierung palästinensischer Lebensgebiete durch den Transfer nicht jüdischer Palästinenser in andere arabische Länder geht Mitte der 30 Jahre auf Josef Weitz zurück. Ab 1938 Direktor des zionistischen Nationalfonds (Keren Kajemet le-Israel) verfolgte er das Ziel, 200.000 Hektar fruchtbaren Bodens „aus arabischem Besitz“ zu befreien.
Die massenhafte Vertreibung der Palästinenser von ihrem angestammten Boden fand 1948-bis 1949 ihren Höhepunkt. Mehr als 700.000 Menschen wurden zu Flüchtlingen, über 400 arabische Dörfer wurden bis in die 50er Jahre hinein – also auch und insbesondere noch nach Ausrufung des Staats Israel - zerstört.
Den Begriff „Transfer“, so als wären die arabisch palästinensischen Menschen per Post oder LKW transferierbare Güter, prägte – offenkundig in Anlehnung an das Transferabkommen vom August 1933 zwischen Nazi-Deutschland und der Jewish Agency, das Juden die Ausreise nach Palästina gestattete - eben jener Josef Weitz. Der Transferplan zur Landgewinnung wurde von Weitz, noch vor seiner Übernahme der Leitung der Jewish Agency vorgelegt und von ihr – wenngleich heimlich, so doch höchst offiziell – abgesegnet. Er wird in der Weitz’schen Biographie sowie in der gesamten zionistischen Chronologie als strategischer Meilenstein der zionistischen Bewegung eingeordnet.
Es kann ohne Übertreibung gesagt werden, dass die Strategie der Judaisierung des Bodens auf der Basis einer systematisch geplanten und durchgeführten Transferpolitik offenkundig bis heute fester Bestandteil der israelischen Politik ist. „Transfer der Palästinenser“ wird als Politikoption z. B. von Avigdor Liebermann immer wieder ins Feld geführt, der immerhin israelischen Außenminister und Vorsitzenden der Partei „Israel Beteinu“ („Israel unser Haus“) ist.
„Transfer“ wird aber eben nicht nur von diesem Minister immer wieder aktualisiert und vor allem nicht ausschließlich als verbales Ideologem. Die Transferpraxis ist inhärenter Bestandteil des Projekts „Groß-Israel“, das von Regierungs- und vor allem von Vertretern der meisten religiösen Parteien in Israel offen vertreten wird.
Sie beruht – wie gehabt – auf Landraub, der immer mit Vertreibung von Palästinensern von dem ihnen angestammten und oftmals sogar als Privatbesitz ausgewiesenen Bodens verbunden ist.
Sie beruht aber auch nach wie vor auf Repressionen. Es geht darum, mit allen Mitteln, die einheimischen Palästinenser zur Abwanderung zu bringen, sie unter Anwendung der rassistischen Gesetzgebung innerhalb der 67er Grenzen sowie der so genannten Administrationsgesetze in den okkupierten Gebieten zu enteignen oder aber, wenn solche Maßnahmen nicht greifen, gewaltsam von ihrem Boden zu vertreiben.
„Transfer“ ist – das gilt es hier in aller Deutlichkeit zu sagen – das Basiselement der weiterhin verfolgten Judaisierung des Bodens innerhalb der 67er Grenzen Israels.
Etwa im Norden, in Galiläa, wo die meisten Palästinenser leben. In diesem Teil Israels ist die Innenpolitik seit den 50er Jahren ununterbrochen von demographischen Maßnahmen bestimmt, die die Mehrheitsverhältnisse zu Gunsten der jüdischen Bevölkerung ändern oder wenigstens den status quo nicht zu ihren Ungunsten driften lassen.
Im Süden, in der Negev-Wüste, wo die meisten Beduinen leben, werden Zehntausende von Menschen regelrecht entwurzelt und das heißt natürlich immer auch – wie in Al-Araquib Dörfer brachial enteignet und zerstört. Das ist Landraub par excellence.
Schauen Sie aber auch nach Ost-Jerusalem, wo eine schleichende, systematisch geplante Ent-Arabisierung durch gewaltsame Vertreibung ganzer Familien von ihren Wohnungen und Häusern, ein flächendeckender Wohnungsbau „nur für Juden“ und vielen anderen Transfermaßnahmen zu Lasten der Palästinenser realisiert werden.
Die Jüdische Stimme hat in ihrer Solidaritätserklärung zum heutigen „Tag des Bodens“ bittere Anklage gegen den Jüdischen Nationalfond sowie gegen die Ausgründung Himanuta erhoben, die diese Politik des Landraubs maßgeblich für die Regierungen Israels betreiben.
Eine solche Politik wird seit den 90er Jahren international als „ethnische Säuberung“ bezeichnet und wegen der ihr innewohnenden rassistischen Menschenverachtung von den Vereinten Nationen geächtet.
Ich verlese den letzten Abschnitt der Erklärung der Jüdischen Stimme im Sinne einer Grußbotschaft auch unseres Vorstands:
Wir klagen den Jüdischen Nationalfond (JNF) und Himanuta wegen weit reichender Vergehen gegen geltendes internationales Recht an.
Beide verstoßen unstrittig gegen:
die universellen Menschenrechte,
die Genfer Konventionen über den Umgang mit kriegerisch erobertem Gebiet, sowie
die international geltenden Gesetze zum Schutz ethnischer und nationaler Minderheiten und ihres Landbesitzes.
Viele Menschen spenden hierzulande für den JNF. Dieser Fond ist als gemeinnützige Organisation zur Begrünung Israels durch Baumpflanzungen anerkannt, weshalb die Spenden von der Steuererhebung befreit sind.
Die meisten Spenderinnen und Spender […] ahnen nicht, dass ihre Spende innerhalb Israels und in den von Israel besetzten Gebieten indirekt zur Vertreibung der einheimischen nicht-jüdischen Bevölkerung verwendet wird.
Die Satzung der Jüdischen Nationalfonds legt fest, dass Land nur an Juden verkauft, verpachtet oder vermietet werden darf. Solch eine Organisation kann nicht das ganze "Jüdische Volk" repräsentieren.
Wir stehen am Tag des Bodens solidarisch an der Seite der Entrechteten und erklären:
Die Politik des JNF, palästinensisches Land in den besetzten Gebieten und ebenso innerhalb der so genannten grünen Grenze zu „judaisieren“, d.h. zu ausschließlich jüdisch-israelischem Kolonialgebiet zu erklären und es jüdisch zu besiedeln, muss als rassistisch und nationalistisch angeprangert und vereitelt werden.
Zugleich treten wir allen Verleumdungen entgegen, die gegen Juden erhoben werden, wenn das „weltweite Judentum“ mit Kolonisierung und Enteignung assoziiert wird.
Wir sind europäische Juden und Jüdinnen. Der Staat Israel vertritt uns nicht. Wir verurteilen die beschriebene amoralische Praxis der Enteignung und Entrechtung der Palästinenser. Sie erfolgt NICHT IN UNSEREM NAMEN!
Gestatten Sie zum Abschluss noch eine Bemerkung.
Wir trauern gemeinsam mit Ihnen um die sechs Umgebrachten und die Hunderten verletzten Palästinenser und Palästinenserinnen während des Generalstreiks gegen die Enteignung von 20.000 Dunam Landbesitz am 30. März 1976.
Zugleich ist es aber bedeutsam daran zu erinnern, dass an diesem Tag, die palästinensische Bevölkerung in Israel eine eigene Stimme erlangt hat, eine eigene Stimme für das nationale Selbstbestimmungsrecht, für Freiheit und Gerechtigkeit.
Diese Stimme vernehmen wir heute vereint mit den Stimmen der palästinensischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten des Westjordanlands, in Gaza und auf allen Kontinenten.
Es besteht für mich kein Zweifel, dass Begriff und Praxis des „Transfers“ von Palästinensern in andere arabische Länder in den Jahren 1937 bis 1944 dem Transferabkommen (Hebräisch Ha’awara-Abkommen) entlehnt waren, das von den Nationalsozialisten im deutschen Reichsministerium für Wirtschaft, der Zionistischen Vereinigung für Deutschland und der Jewish Agency im August 1933 nach mehrmonatigen Verhandlungen unterzeichnet wurde: Zahlungsfähigen deutschen Juden wurde die Ausreise und Mitnahme eines bestimmten Anteils ihres Hab und Guts nach Palästina gestattet. Außer dem Ziel, die Juden – zumal gegen Entgelt - nach Palästina zu transferieren hoffte das Reichsministerium mit dieser Übereinkunft einen drohenden internationalen Handelsboykott von Deutschland abzuwenden. So folgte auf das erste Menetekel der Kooperation mit den Nationalsozialisten – die Nazis hatten Interesse am Transfer der Juden nach Palästina, die Zionisten auch –, gleich das zweite, die Übertragung derselben menschenverachtenden „Ochsentour“ auf die Palästinenser, eben „Menschen-Transfer“ zur Gewinnung von Raum für das „eigene Volk“.
Fanny-Michaela Reisin
Grußbotschaft d. Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost – EJJP Germany
Ihre Exzellenz Herr Botschafter Palästinas
Herr Dr. Manhouf,
Sehr geehrte Damen und Herren,
Vorrede
Im Namen der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost bekunde ich heute, am Tag des Bodens unsere Solidarität mit allen durch Israel vertriebenen, enteigneten und entrechteten Palästinenser und Palästinenserinnen.
In Gedenken an die sechs Ermordeten während des Generalstreiks israelischer Palästinenser gegen einen abermaligen Landraub am 30. März 1976 will ich mich heute zur Frage von Land und Boden äußern und nicht auf die allgemeine Situation der Palästinenser im Kampf um die nationale Selbstbestimmung eingehen.
Gestatten Sie vorab einen kleinen historischen Rückblick zur Bedeutung von Land und Boden in Palästina.
Das arabische Palästina beruhte vor 1948 vorrangig auf Landwirtschaft. Mehr als 75% der palästinensischen Bevölkerung lebte vor der Gründung des Staats Israel 1948 von der Landwirtschaft. Landwirtschaft blieb aber auch für die nach dem großen Exodus, d. h. der Vertreibung und Flucht sowie den Wirkungen des 1948er Kriegs auf israelischem Gebiet verbliebenen oder in ihre Wohnorte zurückgekehrten 156 000 Palästinenser und Palästinenserinnen zentral.
„Land und Boden” haben in diesem Teil des Orients nicht nur jene wirtschaftliche Bedeutung, die ihnen überall auf der Welt zugeschrieben wird. Hier prägen sie die gemeinschaftliche Identität, die Abstammung und Herkunft; sind Bestandteil der eigenen Würde und der Ehre der Familie. „Land und Boden“ sind die Quelle und das Ziel all der Empfindungen, die Palästinenser und Palästinenserinnen als „Liebe zur Heimat“ bezeichnen:
Es sind der Feigen- und der Olivenbaum, der Olivenhain, die Bohnenbeete (Ful), die Weizenähren oder das Gras für die Schafe, die der Boden „unserer Familie" so gedeihen lässt, wie kein Boden sonst auf der Welt. Es sind das Licht, die Gerüche der Zitrusblüten, von Kardamon, Jasmin und Maramia; es ist die Musik der Zikaden und von ferne rufenden Muezzins, die unser Land so einmalig machen.
„Judaisierung“ des Bodens heißt „Ent-Arabisierung“ des Lands
„Judaisierung des Bodens“ war und ist der wirtschaftliche und ideologische Kern der zionistischen Kolonisierungspolitik in Palästina. Im Prinzip von Anfang an, d. h. seit Ende des 19. Jahrhunderts und offensiv ab der zweiten Hälfte der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts.
„Judaisierung des Bodens“ hieß seit den ersten zionistischen Einwanderungen unmissverständlich: „Ent-Arabisierung“ des orientalischen, von Einheimischen muslimischen, christlichen und jüdischen Glaubens seit Jahrhunderten bewohnten und also zu keinem Zeitpunkt der Geschichte unbevölkerten Lands, das – so viel ist ebenfalls faktisch belegt – seit je her immer genügend Platz für alle dort Lebenden hatte.
Die zentralen Elemente der zionistischen Siedlungspolitik des 20. Jahrhunderts:
Transfer bzw. systematisch geplante und durchgeführte Vertreibung
Terror und Repressionen zur Erzwingung der „freiwilligen“ Abwanderung
Das Gesetz zur Enteignung von abwesenden Grund- und Bodenbesitzern vom März 1950 (Absentee Law)
Das so genannte Rückkehrrecht vom Juli 1950, das jeden Menschen jüdischer Herkunft zur privilegierten und übrigens auch alimentierten Einwanderung nach Israel berechtigt (Law of Return).
Unmittelbar ein Jahr nach Beendigung des Kriegs zwischen Israel und den umliegenden arabischen Staaten sowie der Aufnahme Israels als 59. UNO-Staat im März 1949 wurden die beiden unter 3. und 4. genannten Gesetze verabschiedet. Sie sind bis heute Antrieb der Enteignung und Schmieröl der jüdischen Besiedlung palästinensischen Grund und Bodens.
Die Politik des so genannten Transfers ist das Kernelement der zionistischen und nach wie vor ausdrücklich Kalkül und Option der israelischen Innenpolitik.
Ich werde noch auf die gegenwärtige Situation in Ost-Jerusalem oder Al-Araquib in der Negev-Wüste zu sprechen kommen.
Vertreibung als systematische Politik mit dem Ziel eines jüdischen (Groß-) Israels
Die Konzeption und systematische Planung der Ent-Arabisierung palästinensischer Lebensgebiete durch den Transfer nicht jüdischer Palästinenser in andere arabische Länder geht Mitte der 30 Jahre auf Josef Weitz zurück. Ab 1938 Direktor des zionistischen Nationalfonds (Keren Kajemet le-Israel) verfolgte er das Ziel, 200.000 Hektar fruchtbaren Bodens „aus arabischem Besitz“ zu befreien.
Die massenhafte Vertreibung der Palästinenser von ihrem angestammten Boden fand 1948-bis 1949 ihren Höhepunkt. Mehr als 700.000 Menschen wurden zu Flüchtlingen, über 400 arabische Dörfer wurden bis in die 50er Jahre hinein – also auch und insbesondere noch nach Ausrufung des Staats Israel - zerstört.
Den Begriff „Transfer“, so als wären die arabisch palästinensischen Menschen per Post oder LKW transferierbare Güter, prägte – offenkundig in Anlehnung an das Transferabkommen vom August 1933 zwischen Nazi-Deutschland und der Jewish Agency, das Juden die Ausreise nach Palästina gestattete - eben jener Josef Weitz. Der Transferplan zur Landgewinnung wurde von Weitz, noch vor seiner Übernahme der Leitung der Jewish Agency vorgelegt und von ihr – wenngleich heimlich, so doch höchst offiziell – abgesegnet. Er wird in der Weitz’schen Biographie sowie in der gesamten zionistischen Chronologie als strategischer Meilenstein der zionistischen Bewegung eingeordnet.
Es kann ohne Übertreibung gesagt werden, dass die Strategie der Judaisierung des Bodens auf der Basis einer systematisch geplanten und durchgeführten Transferpolitik offenkundig bis heute fester Bestandteil der israelischen Politik ist. „Transfer der Palästinenser“ wird als Politikoption z. B. von Avigdor Liebermann immer wieder ins Feld geführt, der immerhin israelischen Außenminister und Vorsitzenden der Partei „Israel Beteinu“ („Israel unser Haus“) ist.
„Transfer“ wird aber eben nicht nur von diesem Minister immer wieder aktualisiert und vor allem nicht ausschließlich als verbales Ideologem. Die Transferpraxis ist inhärenter Bestandteil des Projekts „Groß-Israel“, das von Regierungs- und vor allem von Vertretern der meisten religiösen Parteien in Israel offen vertreten wird.
Sie beruht – wie gehabt – auf Landraub, der immer mit Vertreibung von Palästinensern von dem ihnen angestammten und oftmals sogar als Privatbesitz ausgewiesenen Bodens verbunden ist.
Sie beruht aber auch nach wie vor auf Repressionen. Es geht darum, mit allen Mitteln, die einheimischen Palästinenser zur Abwanderung zu bringen, sie unter Anwendung der rassistischen Gesetzgebung innerhalb der 67er Grenzen sowie der so genannten Administrationsgesetze in den okkupierten Gebieten zu enteignen oder aber, wenn solche Maßnahmen nicht greifen, gewaltsam von ihrem Boden zu vertreiben.
„Transfer“ ist – das gilt es hier in aller Deutlichkeit zu sagen – das Basiselement der weiterhin verfolgten Judaisierung des Bodens innerhalb der 67er Grenzen Israels.
Etwa im Norden, in Galiläa, wo die meisten Palästinenser leben. In diesem Teil Israels ist die Innenpolitik seit den 50er Jahren ununterbrochen von demographischen Maßnahmen bestimmt, die die Mehrheitsverhältnisse zu Gunsten der jüdischen Bevölkerung ändern oder wenigstens den status quo nicht zu ihren Ungunsten driften lassen.
Im Süden, in der Negev-Wüste, wo die meisten Beduinen leben, werden Zehntausende von Menschen regelrecht entwurzelt und das heißt natürlich immer auch – wie in Al-Araquib Dörfer brachial enteignet und zerstört. Das ist Landraub par excellence.
Schauen Sie aber auch nach Ost-Jerusalem, wo eine schleichende, systematisch geplante Ent-Arabisierung durch gewaltsame Vertreibung ganzer Familien von ihren Wohnungen und Häusern, ein flächendeckender Wohnungsbau „nur für Juden“ und vielen anderen Transfermaßnahmen zu Lasten der Palästinenser realisiert werden.
Die Jüdische Stimme hat in ihrer Solidaritätserklärung zum heutigen „Tag des Bodens“ bittere Anklage gegen den Jüdischen Nationalfond sowie gegen die Ausgründung Himanuta erhoben, die diese Politik des Landraubs maßgeblich für die Regierungen Israels betreiben.
Eine solche Politik wird seit den 90er Jahren international als „ethnische Säuberung“ bezeichnet und wegen der ihr innewohnenden rassistischen Menschenverachtung von den Vereinten Nationen geächtet.
Ich verlese den letzten Abschnitt der Erklärung der Jüdischen Stimme im Sinne einer Grußbotschaft auch unseres Vorstands:
Wir klagen den Jüdischen Nationalfond (JNF) und Himanuta wegen weit reichender Vergehen gegen geltendes internationales Recht an.
Beide verstoßen unstrittig gegen:
die universellen Menschenrechte,
die Genfer Konventionen über den Umgang mit kriegerisch erobertem Gebiet, sowie
die international geltenden Gesetze zum Schutz ethnischer und nationaler Minderheiten und ihres Landbesitzes.
Viele Menschen spenden hierzulande für den JNF. Dieser Fond ist als gemeinnützige Organisation zur Begrünung Israels durch Baumpflanzungen anerkannt, weshalb die Spenden von der Steuererhebung befreit sind.
Die meisten Spenderinnen und Spender […] ahnen nicht, dass ihre Spende innerhalb Israels und in den von Israel besetzten Gebieten indirekt zur Vertreibung der einheimischen nicht-jüdischen Bevölkerung verwendet wird.
Die Satzung der Jüdischen Nationalfonds legt fest, dass Land nur an Juden verkauft, verpachtet oder vermietet werden darf. Solch eine Organisation kann nicht das ganze "Jüdische Volk" repräsentieren.
Wir stehen am Tag des Bodens solidarisch an der Seite der Entrechteten und erklären:
Die Politik des JNF, palästinensisches Land in den besetzten Gebieten und ebenso innerhalb der so genannten grünen Grenze zu „judaisieren“, d.h. zu ausschließlich jüdisch-israelischem Kolonialgebiet zu erklären und es jüdisch zu besiedeln, muss als rassistisch und nationalistisch angeprangert und vereitelt werden.
Zugleich treten wir allen Verleumdungen entgegen, die gegen Juden erhoben werden, wenn das „weltweite Judentum“ mit Kolonisierung und Enteignung assoziiert wird.
Wir sind europäische Juden und Jüdinnen. Der Staat Israel vertritt uns nicht. Wir verurteilen die beschriebene amoralische Praxis der Enteignung und Entrechtung der Palästinenser. Sie erfolgt NICHT IN UNSEREM NAMEN!
Gestatten Sie zum Abschluss noch eine Bemerkung.
Wir trauern gemeinsam mit Ihnen um die sechs Umgebrachten und die Hunderten verletzten Palästinenser und Palästinenserinnen während des Generalstreiks gegen die Enteignung von 20.000 Dunam Landbesitz am 30. März 1976.
Zugleich ist es aber bedeutsam daran zu erinnern, dass an diesem Tag, die palästinensische Bevölkerung in Israel eine eigene Stimme erlangt hat, eine eigene Stimme für das nationale Selbstbestimmungsrecht, für Freiheit und Gerechtigkeit.
Diese Stimme vernehmen wir heute vereint mit den Stimmen der palästinensischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten des Westjordanlands, in Gaza und auf allen Kontinenten.
Es besteht für mich kein Zweifel, dass Begriff und Praxis des „Transfers“ von Palästinensern in andere arabische Länder in den Jahren 1937 bis 1944 dem Transferabkommen (Hebräisch Ha’awara-Abkommen) entlehnt waren, das von den Nationalsozialisten im deutschen Reichsministerium für Wirtschaft, der Zionistischen Vereinigung für Deutschland und der Jewish Agency im August 1933 nach mehrmonatigen Verhandlungen unterzeichnet wurde: Zahlungsfähigen deutschen Juden wurde die Ausreise und Mitnahme eines bestimmten Anteils ihres Hab und Guts nach Palästina gestattet. Außer dem Ziel, die Juden – zumal gegen Entgelt - nach Palästina zu transferieren hoffte das Reichsministerium mit dieser Übereinkunft einen drohenden internationalen Handelsboykott von Deutschland abzuwenden. So folgte auf das erste Menetekel der Kooperation mit den Nationalsozialisten – die Nazis hatten Interesse am Transfer der Juden nach Palästina, die Zionisten auch –, gleich das zweite, die Übertragung derselben menschenverachtenden „Ochsentour“ auf die Palästinenser, eben „Menschen-Transfer“ zur Gewinnung von Raum für das „eigene Volk“.