Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Antisemitismusbeauftragten des Landes BW, Dr. Michael Blume
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Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Antisemitismusbeauftragten des Landes BW, Dr. Michael Blume

Wir reichen hiermit Dienstaufsichtsbeschwerde ein gegen Dr. Michael Blume, den Antisemitismusbeauftragten des Landes Baden-Württemberg. Die Dienstbeschwerde reichen wir ein, weil Aktionen des Antisemitismusbeauftragten entweder seine Aufgaben weit überschreiten oder seiner Aufgabe sogar entgegenlaufen, und weil er sich rechtswidrig verhält. Mit seinen Aktionen schadet er uns als Organisation sowie anderen Teilnehmern am Diskurs; er untergräbt sogar den Kampf gegen Antisemitismus, der seine Aufgabe ist.

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12.07.2021

An:

Winfried Kretzschmann, Ministerpräsident

Dr. Florian Stegmann, Staatsminister

Staatsministerium Baden-Württemberg

Richard-Wagner-Straße 15

70184 Stuttgart

 

Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Antisemitismusbeauftragten des Landes Baden-Württemberg, Dr. Michael Blume

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, sehr geehrter Herr Minister,

wir reichen hiermit Dienstaufsichtsbeschwerde ein gegen Dr. Michael Blume, den Antisemitismusbeauftragten des Landes Baden-Württemberg. Die Dienstbeschwerde reichen wir ein, weil Aktionen des Antisemitismusbeauftragten entweder seine Aufgaben weit überschreiten oder seiner Aufgabe sogar entgegenlaufen, und weil er sich rechtswidrig verhält. Mit seinen Aktionen schadet er uns als Organisation sowie anderen Teilnehmern am Diskurs; er untergräbt sogar den Kampf gegen Antisemitismus, der seine Aufgabe ist.

Konkret bezieht sich unsere Dienstaufsichtsbeschwerde auf Dr. Blumes Kommunikation auf Twitter, einem Medium, das er intensiv nutzt und auf dem er eine große Reichweite hat. Twitter ist also nicht marginal für seine Tätigkeit und deren Einfluss. Sein Verhalten auf Twitter, sowohl auf seinem formal amtlichen Account als auch seinem formal persönlichen Account, verstößt in folgenden Punkten gegen seine Aufgaben:

  1. Vermengung amtlicher und privater Kommunikation

  2. Unbegründete Behauptung, nichtjüdische und jüdische Organisationen und Personen verhielten sich rassistisch und antisemitisch

  3. Potentiell antisemitisches Bezweifeln der jüdischen Identität der Jüdischen Stimme


Die Jüdische Stimme ist eine Vereinigung aus Menschen jüdischer Herkunft in Deutschland, die sich für die Rechte der Palästinenser:innen und gegen die Besatzung und Unterdrückung in Israel-Palästina ausspricht. Dabei beziehen wir uns auf allgemein anerkannte Menschenrechte. Wir setzen uns vor allem für eine Aufklärung über die dortigen Verhältnisse in der deutschen Öffentlichkeit ein, unterstützen zum Teil aber auch Projekte vor Ort. (https://www.juedische-stimme.de/) Wir sind deswegen oft Anfeindungen ausgesetzt, wie bei unserer Auszeichnung mit dem Göttinger Friedenspreis 2019 besonders deutlich war, und wurden sogar als antisemitisch verleumdet. Es versteht sich, dass solche Angriffe, auch die von Dr. Blume, unserem Ruf schaden und somit unsere Arbeit verhindern.

ÜBERSICHT:

1)    Vermengung privater und öffentlicher KommunikatioN

  1. a) Benutzung zweier Accounts ohne klare Trennung

  2. i) Nutzung des formal privaten accounts für Themen seines Amts

  3. ii) Nutzung des formal amtlichen accounts für private Belange


iii)    Nutzung des amtlichen accounts zur Unterstützung seines privaten accounts

  1. iv) Untrennbarkeit

  2. b) Folgen

  3. i) Thematisch einschlägige Äußerungen auf dem formal privaten account sind dem Amt zuzuordnen und unterliegen der Dienstaufsicht

  4. ii) Insoweit ist Dr. Blume grundrechtsgebunden und nicht grundrechtsberechtigt


2)    polemische und potenZiell antisemitische Anprangerung nichtjüdischer und jüdischer Organisationen und Personen

  1. a) Unbegründete Angriffe im Allgemeinen

  2. b) Unbegründete Angriffe auf die Jüdische Stimme

  3. c) Problematik der Bezeichnung jüdischer Personen und Gruppen als antisemitisch

  4. d) Unhaltbarkeit des konkreten Antisemitismusvorwurfs


3)    PotenZiell antisemitisches ANzweifeln der jüdischen Identität der Jüdischen Stimme

4)    Ergebnis

 

1) Vermengung privater und öffentlicher Kommunikation


 

a)  Benutzung zweier Accounts ohne klare Trennung


Der Antisemitismusbeauftragte Dr. Blume betreibt zwei Twitter-Accounts – ein formal amtliches @beauftragg mit zur Zeit 1.205 Followern und ein formal privates @blumeevolution mit über 20.000 Followern. Allerdings sind beide Accounts in mehrerlei Hinsicht nicht voneinander getrennt.

Zunächst verweisen beide accounts aufeinander: Im formal amtlichen Account steht ein Hinweis „Privat & wissenschaftlich: @BlumeEvolution“, im formal privaten Account steht „Beruf: @beauftragtgg“, also nicht eine Berufsbezeichnung sondern ein Verweis auf das formal amtliche Account.

Könnte man daraus noch schließen, dass hier der Versuch einer Trennung gemacht wird, so zeigt die Lektüre ein anderes: Dr. Blume postet bevorzugt auf seinem privaten Account, das wesentlich mehr Follower hat, zu Themen seines Amts, ohne dass inhaltliche Unterschiede erkennbar sind.

i) Nutzung des formal privaten Accounts für Themen seines Amts


Einerseits betrifft ein wesentlicher Teil der Äußerungen auf dem Privataccount Fragen des Antisemitismus, also des Kernbereichs seiner amtlichen Tätigkeit. Während damit in der Sache sein Amt betroffen ist, entspricht die Form der Debatte derjenigen einer (aggressiv argumentierenden) Privatperson.

So diskutiert Dr. Blume unverständlicherweise mit rechtsradikalen Antisemiten wie Attila Hildmann, bezeichnet aber auch sachliche Kritik seiner Position regelmäßig als „Hass“ und dann als „Auszeichnung“ oder „Anerkennung“ für seine Aufklärung. Insgesamt sind seine Aussagen auf dem formal privaten Account regelmäßig polemisch und sarkastisch; er verwickelt gern andere in lange Streitigkeiten, in denen er dann polemisiert (siehe etwa https://twitter.com/BlumeEvolution/status/1409043141009760256 oder https://twitter.com/BlumeEvolution/status/1409438075323924484). Und er drückt seinen Stolz darauf aus, Emojis zu nutzen, etwa hier https://twitter.com/BlumeEvolution/status/1409466045987971076

 
ii)   Nutzung des formal amtlichen Accounts für private Belange

Andererseits nutzt Dr. Blume sein amtliches Account gern dazu, persönliche Erlebnisse zu berichten. So trennt er Geburtstagsglückwunsche nicht von seinem Amt („Der Beauftragte gg. #Antisemitismus BW dankt für viele Glückwünsche“, https://twitter.com/beauftragtgg/status/1406532749809401856). Ähnlich schreibt er Impfungen seiner Privatperson seinem Amt zu, etwa hier:“ Der Beauftragte gg. #Antisemitismus BW hat auch die gestrige #Zweitimpfung mit #Biontech gut vertragen, (https://twitter.com/beauftragtgg/status/1409831557821603844) Er und macht mit diesem Bericht aus seinem persönlichen Leben sowie der (Falsch-)Bezeichnung seiner Privatperson als „Der Beauftragte“ deutlich, dass er zwischen Privatperson und Amtsperson nicht trennt.
iii) Nutzung des amtlichen Accounts zur Unterstützung seines privaten Accounts

Vor allem aber nutzt Dr. Blume sein öffentliches Account, um Kritiker:innen seiner Äußerungen in Diskussionen auf seinem privaten Account zu skandalisieren. So erklärt er etwa im amtlichen Account: „Der Beauftragte gg. #Antisemitismus BW wird derzeit von einer hoch umstrittenen Gruppierung attackiert…..“, wobei er einen Screenshot aus einem Chat seines formal privaten Accounts zeigt. Er macht damit klar, dass er „Attacken“ auf sein formal privates Account als Attacken auf sein Amt versteht. Umgekehrt retweetet er dann den Tweet aus dem formal amtlichen wieder auf seinem formal privaten Account.

Ferner retweetet er Diskussionen aus seinem formal privaten Account wie diejenige mit dem Antisemiten Hildmann und bezeichnet diese auf seinem offiziellen Account als „Auszeichnung für seine auch öffentliche Aufklärung“. Er macht also deutlich, dass die Aktionen auf seinem formal privaten Account für ihn zu seinem Amt gehören.
iv) Untrennbarkeit

Aus alldem ergibt sich, dass Dr. Blume nicht nur keine erkennbare Trennung zwischen beiden Accounts vornimmt, sondern zudem durch Retweets die Trennung vermischt: persönlichen Tweets wird durch Retweets auf dem formal amtlichen account offiziöser Charakter zuerkannt; amtliche Tweets werden durch Retweets auf dem formal persönlichen account einem weiten Leserkreis zugeführt, der nur diesem account folgt und wegen der Retweets auch nur ihm zu folgen braucht. Insgesamt sind beide accounts daher als Einheit zu betrachten.

Zur Klarstellung sei darauf hingewiesen, dass die Vermengung hier nicht nur auf formaler sondern auch auf inhaltlicher Ebene existiert, so dass es nicht ausreichen würde, wenn Dr. Blume seine Accounts stärker voneinander trennte oder in seinem Twitter Handle behauptete, hier nur private Meinungen zu äußern. Ein staatlicher Amtsträger kann nicht duch „Flucht in das Private“ seinen grundgesetzlichen Grenzen entgehen. „Auch und gerade politisch interessierte und informierte Bürgerinnen und Bürger werden die Äußerung eines Amtsinhabers immer sowohl mit dem Amt assoziieren als gegebenenfalls auch mit der Person (Payandeh, Der Staat 55 (2016) 519, 535.  Äußerungen innerhalb seines Aufgabenbereichs werden daher öffentlich seinem Amt zugerechnet, selbst wenn sie als persönliche Ansichten gekennzeichnet sind.

Hinzu kommt ein weiteres. Wird ein Mensch oder eine Organisation von Dr. Blume in einem privaten Account massiv diskriminiert, so muss sie davon ausgehen, dass Dr. Blume auch in seinem Amt ähnliche Diskriminierungen vornehmen wird, wenn er nicht überzeugend klar machen kann, wie er das trennen würde; das ist aber im Kernbereich seiner Aufgabe kaum denkbar.

b) Folgen


i) Thematisch einschlägige Äußerungen auf dem formal privaten Account sind dem Amt zuzuordnen und unterliegen der Dienstaufsicht


Diese Vermengung führt zunächst einmal dazu, dass Dr. Blumes Äußerungen auf dem formal privaten Account seinem Amt zugeordnet werden müssen und der Dienstaufsicht unterliegen. Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags haben es unter Rückgriff auf das Bundesverfassungsgericht so formuliert: „Für einen Amtsbezug sprechen die ausdrückliche  Bezugnahme des Sprechers auf sein Amt und der inhaltliche Zusammenhang der Aussage mit der amtlichen Tätigkeit.“ (Wiss. Dienst, Politische Äußerungen von Hoheitsträgern, WD 3 - 3000 - 074/18, S. 3 vgl. BVerfGE 138, 102, 117.) Bei sonstigen öffentlichen Äußerungen ist es dem Amtsinhaber im Übrigen unbenommen, klarstellend darauf hinzuweisen, dass es sich um Beiträge im politischen Meinungskampf jenseits der amtlichen Tätigkeit handelt (BverfG, Urt. v. 27.2.2018, 2 BvE 1/16, Rn 65).

Bei Dr. Blume ergibt sich die Bezugnahme auf das Amt schon aus dem Twitterhandle, in dem er auf seine berufliche Stellung verweist. Eine Klarstellung, dass er in privater Rolle spreche, unterlässt er regelmäßig. Sie würde auch wenig helfen. Erstens besteht dort, wo er sich zum Antisemitismus äußert, der inhaltliche Zusammenhang mit seiner amtlichen Tätigkeit. Für die Leser:innen ist hier nicht ersichtlich, wo er sich privat äußert und wo amtlich. Zweitens müssen Leser:innen davon ausgehen, dass die privaten Äußerungen sich einerseits auf die Amtsführung auswirken werden, sie daher andererseits auch im privaten Bereich mit dem Potential des öffentlichen Amts verstärkt sind. Insbesondere müssen sie damit rechnen, dass seine Aussagen im formal privaten Account durch Retweets auf das formal amtliche Account gehoben werden.
ii)   Insofern ist Dr. Blume grundrechtsgebunden und nicht grundrechtsberechtigt

Das hat einschneidende Folgen. Einerseits ist Dr. Blume grundrechtsgebunden. Denn auch innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs dürfen sich Hoheitsträger nicht beliebig äußern. Vielmehr kommt es zu mittelbar-faktischen Grundrechtseingriffen, wenn das staatliche Informationshandeln das grundrechtlich geschützte Verhalten hinreichend gewichtig oder final beeinträchtigt (Wiss. Dienste BT aaO S. 6). Soweit Dr. Blume ihm missliebige Meinungen skandalisiert, hält er die betreffenden Personen von freier Rede ab, was einen Verstoß gegen ihre Meinungsfreiheit bedeuten kann.

Andererseits kann sich Dr. Blume, soweit er sich im Rahmen seines Amtes äußert, nicht auf die Meinungsfreiheit berufen, denn diese gebührt Bürger:innen gegenüber dem Staat, nicht aber dem Staat und seinen Organen gegenüber den Bürger:innen (siehe Gräditz, Mandat zu Meinungspflege? - Zur rechtlichen Stellung der „Beauftragten der Bundesregierung“, Verfassungsblog 28.12. 2020, https://verfassungsblog.de/mandat-zu-meinungspflege/). Das bedeutet etwa, dass seine Beschwerden, Kritiker nähmen ihm seine Meinungsfreiheit (zB https://twitter.com/BlumeEvolution/status/1409610501059907587), nicht zutreffen. Es bedeutet zum anderen, dass Dr. Blume kein „Recht auf Gegenschlag“ dergestalt, dass staatliche Organe auf unsachliche oder diffamierende Angriffe in gleicher Weise reagieren dürften,“ hat (BVerfG, Urteil vom 9.6.2020 – 2 BvE 1/19, NJW 2020, 2096, Rn. 47 f.; BVerfGE 138, 102, 111 ff.). Denn angegriffen wird er hier nicht (nur) als Privatperson, sondern als Vertreter des Staates. WO er sich wehrt, unterliegt er dem Sachlichkeitsgebot.

Insgesamt bestehen erhebliche Beschränkungen, die Dr. Blume auf seinem formal amtlichen account teilweise und auf seinem formal privaten account regelmäßig überschreitet. Wie Gärditz a.a.O. schreibt:

Bei wertenden amtlichen Stellungnahmen ist Zurückhaltung geboten. Die Verhältnismäßigkeit ist zu wahren, namentlich müssen die Gegenäußerungen der Bedeutung und Tragweite des Anlasses gerecht werden. Staatliche Organe müssen sich polemischer Angriffe, unnötiger Personalisierung oder parteipolitischer Instrumentalisierung enthalten. Die Distanz zum gesellschaftlichen Meinungskampf ist in Duktus und Kommunikationsformat zu wahren. Tatsachenbehauptungen müssen verifizierbar sein. Staatliche Organe müssen zudem akzeptieren, dass es im Rahmen der freien gesellschaftlichen Meinungs- und politischen Willensbildung sehr viele vertretbare Positionen gibt, über die legitimerweise gestritten werden kann – auch über die richtige Deutung der Verfassung. Eine amtliche Positionierung darf daher nicht andere Auffassung diskreditieren, solange diese nicht evident zentralen Werte der Verfassung zuwiderlaufen.

Grundrechtsgebundene öffentliche Gewalt darf sich ihrerseits keine Extrempositionen zu eigen machen, die Privaten selbstverständlich zustehen. Wer die Beauftragung durch die Regierung als Kampfauftrag für eine (vermeintlich) gute Sache missversteht, missbraucht die nur grundrechtlich eingehegt verliehene und rechtsstaatlich gebundene Macht.

 

2)  Polemische und potentiell antisemitische Anprangerung nichtjüdischer und jüdischer Organisationen und Personen


a)  Unbegründete Angriffe im Allgemeinen

Dr. Blumes formal privates Account verstößt fast durchweg gegen diese Erfordernisse. Vor allem auf seinem formal privaten, aber auch auf seinem formal amtlichen Account ergeht sich Dr. Blume oft in polemischen Diskussionen, in denen er anderen „Hass“ oder Antisemitismus vorwirft.

Teils erfolgt das gegenüber Rechtsradikalen und Querdenkern wie dem erwähnten Attila Hildmann, dessen Aussagen er so zu einer weiten Verbreitung und Aufmerksamkeit verhilft. Teils aber erfolgt es gegenüber politisch Linken, und dabei häufig gegenüber Menschen und Organisationen aus Minderheiten.

Manchmal sind das Muslime wie der Journalist Tarek Baé, den er auffordert, sich für einen angeblichen antideutschen Rant zu entschuldigen und den er für angebliche Verharmlosung von Antisemitismus anprangert, ohne das eine oder das andere sorgfältig zu begründen (tatsächlich hatte Baé weitgehend nur aus einem Polizeibericht referiert).

Manchmal, und das ist für einen Antisemitismusbeauftragten besonders bedenklich, sind es Jüdinnen und Juden wie Jevgeniy Bluwstein, den er zu Unrecht für angeblich „rassistische und antisemitische Verhöhnungen“ kritisiert (https://twitter.com/BlumeEvolution/status/1401874259291541514), oder Emily Dische-Becker, der er vorwirft, „in seltsamen Kollektiven“ zu argumentieren und die er grundlos auffordert, „zukünftig über Deutsche auch ausländischer Herkunft weniger paternalistisch zu twittern“ (https://twitter.com/BlumeEvolution/status/1409438075323924484).

Die unberechtigte Bezeichnung als Antisemit ist ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und geeignet, rufschädigend zu wirken. Dieser Eingriff ist seiner Art nach besonders schwerwiegend und wie kaum ein anderer Vorwurf geeignet, den mit dieser Geisteshaltung in Verbindung Gebrachten in den Augen der Öffentlichkeit herabzusetzen vgl. (OLG Nürnberg 22.10.2019 – 3 U 1523/18, Rn. 67). Das gilt weit stärker, wenn er von einem Organ des Staates herrührt, insbesondere vom Antisemitismusbeauftragten. Und es gilt offenbar in besonderem Maße, wenn es sich gegen Jüdinnen und Juden richtet.

Mit seinen Äußerungen stellt Dr. Blume diese Menschen an den Pranger und schädigt ihren Ruf. Er verstößt auch gegen seinen Auftrag, Juden und Jüdinnen zu schützen, der sich auch auf diejenigen bezieht, die seine Ansichten nicht teilen. Er vermittelt mit solch einer Parteinahme, dass das Land, das er vertritt, zwischen schutzwürdigen und angriffswürdigen Jüdinnen und Juden unterscheidet. Das ist seinem Amt nicht angemessen.
b)  Unbegründete Angriffe auf die Jüdische Stimme

Besonders problematisch ist sein Umgang mit der Organisation „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost e.v.“. So erklärte Dr. Blume auf Twitter als Antwort auf einen erklärenden Tweet der Jüdischen Stimme: „Gebt Euch mal diese Tweets eines vorgebl. Jüdischen Accounts. Palästinener:innen als angebliche „Kollaborateure“ & Marionetten“, krass… (gefolgt von Emojis) (https://twitter.com/BlumeEvolution/status/1409466045987971076).

Darüber hinaus behauptete er ausgerechnet am Tag gegen antimuslimischen Rassismus, offensichtlich in Hinblick auf dieselbe Äußerung der Jüdischen Stimme, sie „kombiniere antisemitische & rassistische Verschwörungsmythen in gefährlicher Weise.“ (https://twitter.com/BlumeEvolution/status/1410587863817854976).
c)  Problematik der Bezeichnung jüdischer Personen und Gruppen als antisemitisch

Es ist grundsätzlich hochproblematisch, wenn ein (nichtjüdischer) Antisemitismusbeauftragter eine jüdische Gruppe als antisemitisch bezeichnet. Denn die Aufgabe der Antisemitismusbeauftragten besteht darin, Juden vor Antisemitismus zu schützen, und nicht umgekehrt Juden und jüdische Organisationen anzuprangern, wenn sie sich politisch äußern. Gewiss können auch Juden theoretisch antisemitisch agieren. Gerade wegen der deutschen Vergangenheit ist hier aber bei der Beurteilung durch Vertreter:innen des deutschen Staats besondere Rücksichtnahme geboten.
d)  Unhaltbarkeit des konkreten Antisemitismusvorwurfs

Dieser Vorwurf des Antisemitismus entbehrt aber jeglicher Grundlage. Kritik an der Fatah-Regierung  dafür, dass sie mit Israel zusammenarbeitet, ist in Israel und Palästina weitverbreitet; dass es eine solche Zusammenarbeit gibt, ist sogar offiziell. Das Wort „Marionette“, welches Dr. Blume gleich als Verweis auf antisemitische Verschwörungstheorien darstellt, wurde von ihm selbst eingeführt. Unabhängig davon ist aber der Vorwurf an die Besetztenregierung, Handlanger oder Marionette zu sein, in Besatzungsregimes weit verbreitet. Hier wird also nicht ein antisemitischer oder gar rassistischer Mythos thematisiert, sondern eine konkrete Situation. Einem Antisemitismusbeauftragten sollten solche Dinge bekannt sein, wenn er Aussagen zu Israel und Palästina kritisiert.

3)  Potentiell antisemitisches Anzweifeln der jüdischen Identität der Jüdischen Stimme


Wirklich unerträglich überschreitet Dr. Blume aber seine Grenzen, wenn er insinuiert, die Jüdische Stimme sei vielleicht gar nicht wirklich jüdisch. So bezeichnete er die

Organisation im genannten Tweet als „vorgebl. jüdisch“ (https://twitter.com/BlumeEvolution/status/1409466045987971076)! Er erweckte damit den Eindruck, an der jüdischen Identität der Jüdischen Stimme zu zweifeln, weil diese Kritik an Israel äußere, und damit die jüdische Identität von der Meinung abzuleiten. Wer jüdisch ist, so schien er zu suggerieren, würde nicht Israel kritisieren. Dabei ist es sekundär, ob die Aussage tatsächlich so gemeint war, solange sie so verstanden werden konnte und auch so verstanden wurde. Obwohl mehrere User ihn darauf hinwiesen, stellte Dr. Blume auch in Folgetweets nicht klar, dass er die jüdische Identität nicht in Frage stelle, sondern bezeichnete die Jüdische Stimme im Folgenden als „Accounts, die vorgeben, für religiöse Gruppen zu sprechen“ (https://twitter.com/BlumeEvolution/status/1409510729611460616) sowie (vom amtlichen account) als „hoch umstrittene Gruppierung“ (https://twitter.com/beauftragtgg/status/1409861137479385097) und als „selbsternannte ‚Jüdische Stimme‘“ (https://twitter.com/beauftragtgg/status/1409864281324240896)

Abgesehen von der uninformierten und für einen Antisemitismusbeauftragten verwunderlichen Position, jüdische Menschen seien bloß eine „religiöse Gruppe“, ist es allgemein problematisch, ohne Anlass die jüdische Identität in Frage zu stellen. Besonders inakzeptabel ist das, wenn es aufgrund einer Meinung getan wird, denn damit wird unterstellt, Juden hätten durch ihre Identität notwendig gleiche Ansichten. Inakzeptabel ist es auch, den jüdischen Charakter wegen einer Ansicht zu Israel zu bezweifeln, denn damit werden Judentum und Position zu Israel in eins gesetzt.

Die Entscheidung, wer Jude ist und wer nicht, anhand von getätigten Äußerungen zu treffen, ist ein schwerwiegender antisemitischer Akt, der schon von einer Privatperson inakzeptabel wäre. Besonders ist es aber so, wenn die Äußerung von einem Antisemitismusbeauftragten kommt.

Dr. Blume hat zu seiner Verteidigung erklärt, er wolle „nicht überprüfen, wer genau hinter Accounts mit solchen Tweets steckt.“ Die Verteidigung ist wenig glaubwürdig. Denn erstens bezweifelt Dr. Blume den jüdischen Charakter nicht systematisch bei allen Accounts, die er nicht überprüft, unterscheidet also offenbar nach der Meinung. Zweitens ist die Jüdische Stimme kein Unbekannter; sie ist unter anderem Trägerin des Göttinger Friedenspreises 2019, wie ein Antisemitismusbeauftragter wissen müsste. Und drittens obliegt es einem Antisemitismusbeauftragten (!), sich zu informieren, bevor er den jüdischen Charakter bezweifelt. Das wäre über die website unschwer möglich gewesen: https://www.juedische-stimme.de/selbstverstaendnis/. Außerdem hat er kurz danach die Jüdische Stimme auch einen „sich als jüdisch präsentierenden Account“ genannt.

4)  Ergebnis


Der Antisemitismusbeauftragte hat in schwerwiegender Weise gegen seine Pflichten verstoßen, wobei der geschilderte Fall nur exemplarisch für eine ganze Reihe weiterer Fälle stehen soll. Er untergräbt damit sein Amt und den wichtigen Kampf gegen den Antisemitismus. Er macht es israelkritischen nichtjüdischen und jüdischen Personen und Gruppierungen schwerer, ihr Recht auf Meinungsfreiheit zu nutzen und an der politischen Willensbildung teilzunehmen; er setzt sie zudem durch öffentliches Anprangern ihrer Ansichten Gefahren voraus. Wir empfinden das als unerträglich, nicht nur uns gegenüber, sondern auch für den wichtigen Kampf gegen den Antisemitismus. Für uns ergeben sich folgende Forderungen:

  • Der Antisemitismusbeauftragte muss angewiesen werden, dass er, wenn er sich schon persönlich gegenüber der Öffentlichkeit äußern möchte, sein persönliches Twitteraccount und seine privaten Äußerungen deutlich von seinen amtlichen Äußerungen trennen muss. Er muss auch angewiesen werden, dass er auch in seinen privaten Äußerungen wegen seines Amtes Zurückhaltung üben muss, um nicht sein Amt und seine Aufgabe zu unterminieren.

  • Der Antisemitismusbeauftragte muss daran erinnert werden, dass auch der Schutz linker Juden und Jüdinnen vor antisemitischen Angriffen zu seinen Aufgaben gehört, selbst wenn er mit ihren Ansichten nicht übereinstimmt, sowie dass er im Rahmen des geltenden Rechts nicht dem freien Meinungsaustausch und der politischen Willensbildung im Wege stehen muss. Insbesondere muss der Aufsichtsbeauftragte angewiesen werden, nicht selbst Äußerungen gegen jüdische Organisationen zu tätigen, die als antisemitisch verstanden werden können, etwa indem er den Eindruck vermittelt, sie seien wegen ihrer Ansichten nicht als jüdisch anzusehen.

  • Der Antisemitismusbeauftragte muss zur sorgfältigen Prüfung von Sachverhalten ermahnt werden, bevor er schwerwiegende Vorwürfe wie die des Antisemitismus und des Rassismus äußert.

  • Es muss grundsätzlich geprüft werden, ob die Meinungen und Handlungen des Antisemitismusbeauftragten mit den Erfordernissen seines Amts übereinstimmen.

  • Als Betroffene fordern wir, die Jüdische Stimme, von Dr. Blume eine öffentliche Entschuldigung sowie das Unterlassen weiterer solcher Angriffe auf unsere Organisation. Wir schlagen zudem vor, eine öffentliche Diskussion zu dem Thema auf zivilisierterer Grundlage zu führen.


 

Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost e.V.