Antijüdischer Rassismus in Berlin
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Antijüdischer Rassismus in Berlin

Antisemitismus in Deutschland hat einen neuen Höhepunkt erreicht: De facto können Jüdinnen und Juden hier nicht mehr frei und unabhängig arbeiten, wenn ihre Arbeit aus öffentlichen Geldern finanziert wird. Dafür haben rechte Journalist*innen, Politiker*innen und Wissenschaftler*innen im Oktober diesen Jahres mit einem konzentrierten Angriff gegen jüdische Israelis gesorgt. Der aktuelle Vorfall reiht sich dabei in eine Reihe von beängstigenden Präzendenzfällen ein. Besonders besorgniserregend ist dabei, dass der antisemitische Angriff auf einer Täter-Opfer-Umkehr beruht, indem eine Gruppe von Jüdinnen und Juden, die meisten von ihnen aus Israel, als "Antisemiten" bezeichnet werden. Doch Schritt für Schritt:

Die School for Unlearning Zionism ist ein künstlerisches Forschungsprojekt, das seine Türen der Öffentlichkeit für den Monat Oktober 2020 öffnete, um israelische und palästinensische Referent*innen einzuladen. Es soll über verschiedene historische, kulturelle und wirtschaftliche Themen gesprochen werden, die mit der Geschichte des Zionismus in Zusammenhang stehen. Damit soll ein Raum für nicht-hegemonialen Diskurs eröffnet werden, in dem Menschen, die bisher nur das vom israelischen Staat geförderte Narrativ des Zionismus kennen lernen konnten, andere Versionen des Zionismus und Alternativen zum Zionismus erfahren können. Die Vorträge finden auf Englisch und auf Hebräisch statt.

Anfang Oktober nun schickte der Journalist Frederik Schindler eine Presseanfrage an die Kunsthochschule Berlin Weißensee, in der er behauptete, das Projekt School for Unlearning Zionism würde öffentlich in der Kritik stehen, weil es durch öffentliche Gelder finanziert wird, obwohl Referent*innen der Veranstaltung BDS unterstützen würden. Er berief sich dabei auf zwei einzelne Tweets. Er nannte eine Liste von vier Personen, die auf der Redner*innenliste des Oktoberprogramms der School for Unlearning Zionism standen und beschuldigte sie, die BDS-Bewegung zu unterstützen, obwohl weder das Projekt noch die Vorträge die BDS-Bewegung betrafen. Die angebliche Kritik an der School for Unlearning Zionism basierte somit auf der McCarthy'schen Praxis der „Kontaktschuld“. Obwohl nicht alle Redner*innen jüdisch sind, sind die einzigen Personen, die von Schindler erwähnt wurden jüdische Israelis. Laut dieser Logik darf keine Organisation öffentliche Gelder erhalten, die mit jüdischen Israelis arbeitet, welche auch nur im Verdacht stehen BDS zu unterstützen.

Daraufhin löschte die Kunsthochschule Berlin Weißensee die Website der Kunsthalle am Hamburger Platz, in der das Oktoberprogramm veranstaltet wird und zog die Förderung zurück, obwohl die Vortragsreihe bereits gestartet war und es von den Referent*innen bereits unterschriebene Verträge gab. Der Zentralrat der Juden, der schon seit langem nur noch Netanyahu-regierungstreue und damit rechte Positionen vertritt, stellte sich in ihrem offiziellen Sprachrohr, der Zeitung "Jüdische Allgemeine" auf die Seite der Angreifer gegen die School for Unlearning Zionism. Der pro-israelische Politiker Volker Beck betonte in Interviews mit der Berliner Zeitung und dem Deutschlandradio süffisant, es gehe ja nur um die Verwendung öffentlicher Gelder, nicht um die Einschränkung der Meinungsfreiheit, auch wenn der Entzug von zugesagten Mitteln und Räumen natürlich in der Realität immer wieder genau dazu führt. Den auf der Liste genannten Personen wird somit die Chance genommen, je in öffentlichen Einrichtungen in Deutschland hör- und sichtbar zu werden.

Die Amadeu Antonio Stiftung reagierte auf die Affäre, indem sie die School for Unlearning Zionism "antisemitisch" nannte, ohne zu erwähnen, dass es sich um eine Organisation von jüdischen Israelis handelt. Das Projekt wird nun in der Chronik antisemitischer Vorfälle auf der Amadeu-Antonio-Website gelistet und reiht sich dort neben Vorfälle wie das Attentat von Halle ein. Auch die rechte Zeitung Jerusalem Post bezichtigte die Gruppe des Antisemitismus, doch im Gegensatz zur Amadeu Antonio Stiftung hat diese ihren Sitz nicht in Deutschland und kann daher nicht wegen Verleumdung verklagt werden, einen Schritt, der gerade geprüft wird.

Nach dem Anschlag von Halle, bei dem jüdisches und muslimisches Leben ins Visier genommen und zwei Menschen ermordet wurden, sagte der Bundesbeauftragte für die Bekämpfung von Antisemitismus Dr. Felix Klein, das eigentliche Problem sei der „israelbezogene Antisemitismus“. Der neu ernannte Berliner Antisemitismus-Beauftragte Dr. Samuel Salzborn schrieb in der TAZ, dass vor allem Muslime für den Antisemitismus verantwortlich seien. Beide schützten so indirekt den Mörder von Halle, der weder muslimisch noch anti-israelisch motiviert war. Dieser Verzerrung dienlich ist die unzureichende und fehlerhafte IHRA-Definition von Antisemitismus, auf welche sich oft berufen wird und welche betont, dass sich Antisemitismus nicht zwangsläufig gegen Jüdinnen und Juden richten muss. Sie ermöglicht vielmehr deutschen mehrheitlich nichtjüdischen Behörden zu unterteilen zwischen „guten“ und „schlechten“ Jüdinnen und Juden und somit systematisch unerwünschte jüdische Meinungen aus dem öffentlichen Raum zu verbannen. Mit der Unterstützung von Antisemitismus-Beauftragten kann die School for Unlearning Zionism also nach dem Angriff gegen sie wohl nicht rechnen.

Der Begriff des Zionismus, welcher im Mittelpunkt der School for Unlearning Zionism steht, ist hier besonders erwähnenswert, denn Zionismus ist nicht gleich Judentum. Tatsächlich bezeichnen sich viele der nicht in Israel, sondern z. B. in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden als Antizionist*innen. Darüber hinaus sind die meisten Menschen, die sich global als Antizionist*innen bezeichnen Jüdinnen und Juden (wobei die größte Gruppe sich dem ultra-orthodoxen Spektrum zurechnet, welches den Zionismus aus theologischen Gründen ablehnt). Die standardisierte Antwort von Zionist*innen jedoch auf rassistische Angriffe gegen jüdische Menschen auf der ganzen Welt besteht in der Aufforderung das Heimatland zu verlassen und nach Israel zu ziehen. Auch die Zeitung „Die Welt“, für die Frederik Schindler beabsichtigte seinen Artikel zu schreiben, hat bereits eine Reihe von Artikeln veröffentlicht, die davor warnen, dass Jüdinnen und Juden in Deutschland in Gefahr sind und andeuten, dass sie aus Sicherheitsgründen ausreisen sollten. Die Gleichsetzung von Antizionismus mit Antisemitismus, wie sie von Schindler, der Kunsthochschule Berlin Weißensee, der Amadeu Antonio Stiftung und vom Zentralrat der Juden betrieben wird, ist daher ein antijüdischer Akt.

Trotz dieses koordinierten antisemitischen Angriffs und der Politik der Angst, wie sie schon viele andere marginalisierte Gemeinschaften erlebt haben, wird das Projekt School for Unlearning Zionism nicht kapitulieren und nicht schweigen. Es ist bemerkenswert, dass es im Kampf gegen Antisemitismus wieder einmal gerade palästinensische Gruppen wie Palästina spricht waren, die sich vor allen anderen für die Verteidigung von Jüdinnen und Juden einsetzten. Es bedarf einer großen antirassistischen Koalition, um Rassismus in allen seinen Formen abzulehnen: gegen Jüdinnen und Juden, gegen Muslim*innen oder gegen jede andere religiöse, ethnische oder nationale Minderheit.