Klein kommt zum Thema Antisemitismus wie die Jungfrau zum Kinde
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Klein kommt zum Thema Antisemitismus wie die Jungfrau zum Kinde

Felix Klein, der Bundesbeauftragte für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, gerät nach gut zwei Jahren voller skandalöser Handlungen in die Defensive. Er hat es geschafft, die schon vorher fragwürdige Politik der deutschen Regierung in Sachen Israel so zu überziehen, dass er sich schon einen Namen unter vielen jüdischen und nichtjüdischen Organisationen und Wissenschaftler*innen gemacht hat. Die deutsche kulturelle und akademische Welt hat sich dadurch international blamiert. Künstler*innen, Nobelpreisträger*innen, Akademiker*innen und andere international anerkannte Kulturschaffende werden seit mehreren Jahren angegriffen, weigern sich, an deutschen Jurys und Tagungen teilzunehmen, und namhafte Künstler wie z.B. Kate Tempest sagen Konzerte aufgrund der dadurch vergifteten Stimmung ab.

Klein sieht sich endlich genötigt, seinen inflationären Gebrauch der windigen IHRA-Definition zu rechtfertigen, und sagt der FR, „Diejenigen, die sich heute über mich beklagen, haben damals nichts dagegen gesagt. Ich finde es gut, dass nun die Widersprüche benannt und offen ausgetragen werden.“

Ach was: Klein kommt zum Thema Antisemitismus wie die Jungfrau zum Kinde.

Die IHRA-Definition wurde auch von Akademiker*innen wie Kenneth Stern, die selbst an ihr gearbeitet haben, schon längst kritisiert. Zahlreiche Schreiben gingen aus aller Welt an Klein, auch von Jüd*innen aus unserer Organisation, mit Kritik an der Definition und mit Gesprächsangeboten, auf die er nie reagierte. Es kann aber gut sein, dass er nicht alle E-Mails und Literatur zu seinem Fach liest. Das kommt schon vor.

In 2018 nahm er am Bard College in Berlin an einer Podiumsdiskussion teil, u.a. neben unserem damaligen Vorstandsmitglied, dem Autor Yossi Bartal, der in seinem Beitrag die IHRA-Definition haargenau auseinandernahm und kritisierte. Das weiß er auch nicht mehr? Felix Kleins eigener Beitrag an jenem Abend diente als Steilvorlage für den Juristen Dr. Cengiz Barskanmaz, der sich auf das Thema Antidiskriminierung spezialisiert und die juristischen Schwachstellen der IHRA-Definition aufzählte.

Jetzt stellt er sich dar wie ein widerspruchsfreudiger Talmudgelehrter, der sich gerne Kritik anhört und es gar nicht erwarten kann, darüber Streitgespräche führen zu dürfen. Im Winter 2019, als bekannt wurde, dass die Organisation, zu dessen Vorstand ich gehöre, die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost, den Göttinger Friedenspreis bekommen sollte, sprach er sich dagegen aus und war nicht bereit, mit uns zu sprechen. Das Angebot des Jury-Vorsitzenden und Journalisten Andreas Zumach, eine Podiumsdiskussion mit ihm und anderen zu veranstalten, nahm er nie an. Ein Jahr später fand das nachgefragte Streitgespräch im überfüllten Deutschen Theater in Göttingen statt. Felix Klein wurde eingeladen, sagte seine Teilnahme zunächst zu und kurz danach ohne Erklärung ab. Das weiß er auch nicht mehr?

Er hat klein angefangen, riet z.B. der Bank für Sozialwirtschaft, zu unserer jüdischen Organisation ein Gutachten vom Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin einzuholen, um uns als ‚antisemitisch ja oder nein‘ einzustufen. Nach weltweiten Protesten jüdischer Organisationen und Intellektueller, von Noam Chomsky in den USA bis hin zu Amos Goldberg in Jerusalem, hat das Zentrum das Projekt, als deutsches Institut uns Juden auf Antisemitismus abzuklopfen, stillschweigend begraben.

Klein ist lediglich einer der jüngsten Vollstrecker einer weltweiten, auch israelischen, rechtsextremistischen Agenda. 2018 nahm er an einer proisraelischen Demonstration fundamentalistischer Christen teil, die zwar leidenschaftlich Israels Politik unterstützen, aber letztendlich die Auslöschung der jüdischen Diaspora und die Bekehrung aller Juden bei der Rückkehr des Messias anstreben. Das stört Israels Regierung freilich nicht, die dementsprechend auch die Antisemitismusdefinition vor allem als politisches Instrument sieht. Zur neuen IHRA-Definition sagte Ronen Manelis, Staatssekretär im israelischen Ministerium für strategische Angelegenheiten, sinngemäß in Haaretz: „Es gibt eine neue Definition von Antisemitismus in der Welt. Prüft uns daran, ob wir sie erfolgreich propagiert haben.“

Schon vor etwa 20 Jahren arbeitete der damalige israelische Minister Natan Scharanski an seiner „3D“-Definition (Delegitimierung, Dämonisierung und Doppelmoral gegenüber Israel). So eine vereinfachte Definition ist attraktiv, weil sie Menschen die Unsicherheit und Angst nimmt, als Antisemiten gebrandmarkt zu werden, solange sie die israelische Politik unterstützen. Und man ist in der Lage, binnen Sekunden Antisemitismus bei anderen zu diagnostizieren. Auch als deutscher Nichtjude bei Juden. Bei Felix Klein sprechen wir also über die klitzekleine Spitze des Eisbergs. Weil Klein aber für das heiße Angstklima in Deutschland offiziell verantwortlich ist und es anheizt, wird diese Spitze sichtbarer. Klein geht vor allem gegen einzelne Mitglieder von Minderheiten vor: gegen Jüd*innen aus unserer Organisation, die nicht zu seinen institutionell organisierten Lieblingsjuden zählen, Muslime und Schwarze, wie Achille Mbembe. Dagegen hat er kein Problem, unter einem Minister zu arbeiten, der den antisemitischen Viktor Orban hofiert und Migration als Mutter aller Probleme sieht (auch jüdische Migrant*innen aus der ehemaligen Sowjetunion? Die tausende israelischen Migrant*innen, die in den letzten 15 Jahren nach Berlin kamen, Herr Klein?). Klein spricht sich hingegen nicht gegen die rechtsextremen, rassistischen und antisemitischen Tendenzen in Bundeswehr, Justiz oder Polizei aus. Der jüdische Philosophieprofessor Yitzhak Melamed, der von der Bonner Polizei krankenhausreif geprügelt wurde, hat ihn nicht besonders interessiert. Erst, nachdem sich die Skandale und die damit verbundene Kritik häuften, und endlich auch deutsche nichtjüdische Intellektuelle das Wort ergreifen, sieht er sich genötigt zu reagieren.

Und seine Reaktion verharmlost tödlichen Antisemitismus. Klein behauptet, er gehe vor gegen den Antisemitismus im linksliberalen Milieu – für den er im Interview kein einziges Beispiel nennt – und antwortet seinen Kritikern nicht, weil „wir keine Hierarchisierungen einführen sollten im Kampf gegen Antisemitismus.“ Dabei vertuscht er die Hierarchisierung zwischen dem tödlichen Antisemitismus, der in der Geschichte und Gegenwart in Deutschland und in den USA ausschließlich von rechtsradikalen weißen Männern ausgeht, und anderen Formen – verbalen, realen oder von ihm erfundenen – von Antisemitismus. Er kehrt die Machtverhältnisse um zwischen Institutionen und Individuen, der Staatsgewalt und ihren Kritiker*innen oder Mitgliedern von Mehrheiten und Minderheiten, tut aber gleichzeitig so, als sei er schon fast so antihierarchisch wie ein Anarchofeminist – und das noch als Staatsbeamter, dessen Aussagen Karrieren und Menschenleben zerstören können.

In einem Interview mit der rechtgerichteten Zeitung Jerusalem Post behauptet er: „…wenn einer sagt, dass Israel ein ‚Apartheidstaat‘ ist, ist das schon Antisemitismus, weil ein Apartheidstaat per Definition nicht legitim sein kann“. Der Jurist Felix Klein erklärt somit das Römische Statut, laut dem Israel alle völkerrechtlichen Kriterien erfüllt, um ein Apartheidstaat genannt zu werden, als antisemitisch. Dieser Zirkelschluss von Klein verdeutlicht die Blase, in der er lebt: eine Welt ohne Hierarchisierung von Wahrheit und Unwahrheit, Realität und deren Verleugnung, Leben und Tod, Recht und Unrecht. Eine Welt ohne Erinnerung.

Wenn es ihm wirklich nach Widersprüchen verlangt, hier sind sie also. Unser Angebot, diese mit ihm in einem Streitgespräch zu diskutieren, besteht weiter.