Statement zur Solidarisierung mit Anna-Esther Younes, Autorin des Deutschland-Teils des Europäischen Islamophobie Reports 2018
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Statement zur Solidarisierung mit Anna-Esther Younes, Autorin des Deutschland-Teils des Europäischen Islamophobie Reports 2018

Statement zur Solidarisierung mit Anna-Esther Younes, Autorin des Deutschland-Teils des Europäischen Islamophobieberichts 2018 (English below)

In der deutschen Tageszeitung „Die Welt“ wird derzeit unter der Federführung von Frederik Schindler versucht, Personen, die an der Erstellung des Europäischen Islamophobie Reports 2018 beteiligt waren, pauschal zu diffamieren und damit auch ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse zur strukturellen Verankerung von antimuslimischem Rassismus und dessen verschiedenen Manifestationen zu delegitimieren. Dies geschieht bevor die diversen Erkenntnisse des Reports bzw. seiner Länderberichte überhaupt (geschweige denn breit) diskutiert wurden – als ob es in Europa kein Problem mit Islamophobie gäbe. Das Problem scheinen diejenigen zu sein, die darüber sprechen.

Die Diffamierung und Delegitimierung bedient sich dabei altbewährter Mittel, wie eines selektiven Fokus auf bestimmte Passagen und der bewussten Verkürzung und irreführenden De-Kontextualisierung dieser Passagen und weiterer Aussagen und/oderAktivitäten der Autor*innen. Die eigene politische Positionierung des Autors der Artikel, Frederik Schindler, wird dabei einmal mehr unterschlagen bzw. darf unter dem Deckmantel des vermeintlich objektiven Journalismus verschwinden.

Worum geht es konkret und warum sehen wir als Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost e.V. uns veranlasst, uns zur Berichterstattung über den Europäischen Islamophobie Report zu äußern?

Frederik Schindler, der 2017 durchs Land zog, um in diversen Vorträgen „Pinkwashing“ (die manipulative Nutzung von LGBT-Rechten zur Verbesserung des politischen Images des Nationalstaates) an sich und damit auch nicht wenige jüdische und jüdisch-israelische Pinkwashing-Aktivist*innen als antisemitisch zu verunglimpfen, konzentriert sich in seinen beiden bisher erschienenen Artikeln unter anderem maßgeblich auf vermeintlich problematische israelkritische Äußerungen von einem der beiden Herausgeber des Reports, vor allem aber von der Autorin des Deutschland-Teils, Anna-Esther Younes. Es wird suggeriert, dass es antisemitisch sei, Israel als Apartheidstaat zu bezeichnen. Dem müssen wir einmal mehr widersprechen – warum die Bezeichnung leider sehr treffend ist, haben wir und andere, von Menschenrechtsorganisationen bis zu UN-Expert*innen , an zahlreichen anderen Stellen zur Genüge ausgeführt.

Dass ein Journalist, der selbst regelmäßig zur Verteidigung des israelischen Apartheidstaates ausrückt und anti-palästinensische Positionen vertritt, diese Perspektive nicht berücksichtigt, verwundert nicht. Weiters verwundert angesichts dessen nicht, dass Schindler einen ehemaligen israelischen Botschafter (nota bene: israelischen Staatsbeamten) als Autorität zitiert, um Anna-Esther Younes über die (nota bene: gewaltfreie und in geltendem Internationalen Recht begründete) BDS-Kampagne Radikalität in Bezug auf Israel und damit erneut implizit Antisemitismus zu unterstellen.

Schließlich verwundert ebenfalls nicht, dass Schindler die ungeprüften, pauschalisierenden Vorwürfe gegen das Kulturfestival „After the Last Sky“ vom Herbst 2016 als „scharfe Kritik“ an Anna-Esther Younes als einer der Kuratorinnen wiederkäut.

Scharfe Kritik gab es damals in der Tat – und zwar an der tendenziösen und unsachlichen Berichterstattung über das Festival. Diese Kritik wurde einerseits vom Veranstalter, dem Ballhaus Naunynstraße, geäußert , aber auch von Dutzenden jüdischen und israelischen Berliner Kulturschaffenden. Diese sprachen sich in einem offenen Brief gegen den Ruf nach politischer Zensur in der Diskussion um Israel-Palästina aus und solidarisierten sich mit dem Ballhaus Naunynstraße und den Kuratorinnen des Festivals.

Was uns sehr wohl verwundert, ist, wie selektiv Frederik Schindler den Deutschland-Teil des Europäischen Islamophobie Reports 2018 gelesen hat bzw. wie viel der Analyse er (bewusst?) verschweigt. Anna-Esther Younes stellt „jüdische Proteste“ nicht einfach „in eine Reihe mit Rassisten und Rechtsextremen“. Vielmehr zeigt sie grundlegend auf, wie Antisemitismusvorwürfe strukturell und maßgeblich von nicht-jüdischen weißen Deutschen dazu benutzt werden, um „die Muslime“ (das heißt als solche markierte und wahrgenommene Personen, immer mehr auch synonym für „Migranten/Flüchtlinge“) essentiell und pauschal abzuwerten und gesellschaftlich, ökonomisch und politisch auszuschließen. Ein Beispiel dafür, das Schindler nicht erwähnt, ist der Antisemitismusbeauftragte Felix Klein, den Younes interviewt hat und der die Zahl der antisemitischer Übergriffe fälschlicherweise zu 50% Muslim_innen zuschreibt. Ein weiteres Beispiel ist der laut Schindler „jüdische Protest“, der Kippa-Flashmob in Berlin Neukölln, der wie Younes richtig aufzeigt, von einer als Jüdin sich ausgebenden nicht-jüdischen weißen Deutschen veranstaltet und wohl größtenteils von Nichtjuden und Nichtjüdinnen mit Kippa und Israel-Flaggen besucht wurde. Wir haben auf unserer Facebook-Seite bereits im Juni 2018 darauf hingewiesen , dass diese angeblich „jüdischen Proteste“ von in Neukölln lebenden Jüd*innen kritisiert und als rechte/rechtsextreme und islamophobe Vereinnahmung abgelehnt wurden.

Der rechtsterroristische Anschlag von Halle an Jom Kippur hat uns kürzlich erst schmerzlich und eindeutig gezeigt, wie eng Islamophobie bzw. antimuslimischer Rassismus und Antisemitismus verbunden sind – und wie organisierter Rechtsterrorismus in der Regel weiterhin mit der Mär der „Einzeltäter“ verharmlost wird. Anna-Esther Younes erforscht diese Verbindungen schon seit Jahren und nicht erst im Kontext des Europäischen Islamophobie Reports. Wir glauben, dass das einer der Gründe ist, warum sie immer wieder angegriffen wird. Man muss selbstverständlich nicht ihrer Meinung sein. Es steht jeder und jedem frei, die ihre inhaltlichen Analysen zu kritisieren – genau so wie die anderer Autor*innen des europäischen Islamophobie Reports. Jedoch sollte diese Kritik eine inhaltliche und substantielle sein und nicht durch anti-palästinensische Agenden politisch motiviert. Es sollte keine Kritik sein, die gesellschaftskritische Wissenschaftler*innen persönlich angreift und aufgrund von De-Kontextualisierung, stiller Post und Kontaktschuld vor-verurteilt.

Wir lehnen alle Versuche ab, Antisemitismus von anderen Fragen des Rassismus in der Gesellschaft zu trennen. Wir brauchen mehr und nicht weniger kritische Analysen, die das Phänomen Islamophobie und seine Verbindung zum Antisemitismus beleuchten. Die Beschäftigung mit Antisemitismus ohne eine umfassendere antirassistische Analyse ist prinzipiell parteiisch und unehrlich. Es ist eine Strategie, um einen Keil zwischen Jüdinnen und Juden und andere Minderheiten zu treiben und sie so voneinander zu isolieren. Solidarität zwischen Minderheiten und eine kohärente Opposition gegen alle Formen von Rassismus sind unsere einzige Chance, in Sicherheit und Würde zu leben.

Wir fordern eine verantwortungsvolle redaktionelle Arbeit. Selektives Zitieren, Dekontextualisieren und das Herauspicken von einzelnen Facebook-Postings sind nicht akzeptabel. Dies ist kein “investigativer Journalismus”, sondern lediglich eine politische Form der Manipulation der Öffentlichkeit. Wir fordern sämtliche Medien auf, die tendenziöse Berichterstattung und Verleumdung von Wissenschaftler*innen, Aktivist*innen und Künstler*innen, nur weil sie ihre Unterstützung für die palästinensischen Menschenrechte zum Ausdruck gebracht haben, zu unterlassen.

1 November 2019

 

Statement in solidarity with Anna-Esther Younes, author of the Germany section of the European Islamophobia Report 2018

The German daily newspaper Die Welt is currently publishing a report by Frederik Schindler that attempts to publicly defame individuals who helped compile the European Islamophobia Report 2018 while delegitimizing their scholarly findings on the structural entrenchment of anti-Muslim racism in European society. Meanwhile, the findings of the report, or of its country-specific sections, have received hardly any media attention. One almost gets the impression that Islamophobia is less of a problem in Europe than those who talk about Islamophobia.

Schindler’s attempt at defamation and delegitimization employs familiar tactics, such abbreviating passages and pulling them out of context in a deliberately misleading manner, and personally attacking authors by referring to other decontextualized statements they have made or activities in which they have been involved. In contrast, Schindler attempts to conceal his own political position under the veneer of journalistic objectivity.

What exactly is at stake here, and why do we as Jewish Voice for Just Peace in the Middle East e.V. feel compelled to comment on Schindler’s reporting about the European Islamophobia Report?

Frederik Schindler toured Germany in 2017 giving various talks on “pinkwashing” – a term for when a state cynically presents itself as strong on LGBT rights to bolster its political image. In his talks, Schindler explicitly vilified the very term as antisemitic, slandering by extension no small number of Jewish and Jewish-Israeli activists as antisemitic. So far, Schindler has published two articles on the European Islamophobia Report 2018. Both these focus mainly on allegedly problematic remarks by one of the two editors of the report and in particular by the author of the Report’s section on Germany, Anna-Esther Younes. Here, Schindler’s argument is based on the suggestion that it is antisemitic to refer to Israel as an apartheid state. Yet once again, we must object to this notion. By now, we and others, from human rights organizations from UN experts, have provided a thorough account of why the apartheid label is in fact highly appropriate for Israel.

Of course, it’s to be expected that this perspective would be ignored by a journalist who regularly defends the Israeli apartheid state and holds anti-Palestinian opinions. Moreover, in light of Schindler’s own politics, we are hardly surprised that he cites a former Israeli ambassador (nota bene: an Israeli state official) to insinuate via reference to the BDS campaign (nota bene: a non-violent campaign rooted in international law) that Anna-Esther Younes is an anti-Israel radical and implicitly an antisemite.

Finally, we are also not surprised that Schindler construes unsubstantiated accusations against the cultural festival “After the Last Sky” – which took place in the fall of 2016 and was co-curated by Younes – as “fierce criticism” against Younes. The festival did indeed generate fierce criticism – of the manner in which it was covered in the media, which was deemed biased and non-objective by both the organizer, the Ballhaus Naunynstraße theater, and dozens of Berlin-based Jewish and Israeli artists. In an open letter, these artists rejected political censorship in discussions on Israel-Palestine and expressed their solidarity with Ballhaus Naunynstraße and the curators of the festival.

What does surprise us is just how selectively Frederik Schindler reads the Germany section of the European Islamophobia Report 2018, and how much of the analysis he (consciously?) omits. Contra Schindler’s claims, Anna-Esther Younes does not group “Jewish protests” together with “racists and right-wing extremists.” Rather, she provides an extensive account of non-Jewish white Germans using accusations of antisemitism to essentialize and degrade “Muslims” (i.e., persons marked and perceived as such, increasingly also synonymous with “migrants/refugees”) while excluding them socially, economically, and politically.

One example of this ignored by Schindler takes place in an interview Younes conducted with Felix Klein, Germany’s Commissioner Against Antisemitism, when Klein claims that 50 percent of antisemitic attacks in Germany are committed by Muslims, a figure that contradicts the data of the German Federal Police. Another example can be seen in the “kippah flashmob” held in the Neukölln borough of Berlin in the spring of 2018. Although Schindler refers to this event where attendees wore kippahs and carried Israeli flags as a “Jewish protest,” Younes correctly points out that it was organized by a non-Jewish white German woman pretending to be Jewish and probably attended mostly by non-Jews. As early as in June 2018, we also noted out on our Facebook page that Jews living in Neukölln criticized these allegedly “Jewish protests” as right-wing/right-wing extremist and Islamophobic.

Recently, the right-wing terrorist attack in Halle, Germany on Yom Kippur made painfully clear how closely Islamophobia or anti-Muslim racism and antisemitism are connected – and how organized right-wing terrorism continues to be played down with the myth of the “lone wolf.” Anna-Esther Younes has been researching these connections for years, and not just in the context of the European Islamophobia Report. We believe that this is one of the reasons why she is attacked time and again. One does not have to agree with her, of course. Everyone is free to criticize the content of her analyses, as well as those of the other authors of the European Islamophobia Report. However, such critique should be substantive and not politically motivated by anti-Palestinian agendas. It should not personally attack socially critical scholars and preemptively condemn them on the basis of decontextualized information, hearsay, and guilt by association.

We reject all attempts to separate antisemitism from other issues of racism in society. We need more, not less, critical analyses that shed light on the phenomenon of Islamophobia and its connection to antisemitism, as do those of Younes. The absence of the study of antisemitism in a more comprehensive antiracist analysis speaks to a fundamentally biased and dishonest approach. Its purpose is to drive a wedge between Jews and other minorities, isolating them from each other. Yet solidarity between minorities and a coherent opposition to all forms of racism are our only chance to live in safety and dignity.

We demand responsible editorial work. Selective quoting, decontextualizing and cherry-picking of individual Facebook posts are not acceptable methods. This is not “investigative journalism,” but merely a politically motivated form of public manipulation. We call on all media to stop tendentious reporting and defamation of scholars, activists, and artists simply for expressing their support for Palestinian human rights.

1 November 2019