An den Bundespräsidenten Herrn Prof. Dr. Horst Köhler
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An den Bundespräsidenten Herrn Prof. Dr. Horst Köhler

anlässlich der Verleihung des palästinensischen Ordens für besondere

Verdienste an Felicia Langer am 17.1.2012 durch Präsident Abbas

veröffentlichen wir den Brief unseres Gründungsmitglieds Fanny

Michaela Reisin an den Bundespräsidenten anlässlich der Verleihung des

Bundesverdienstkreuz 1. Klasse an Frau Felicia Langer.



Prof. Dr. Fanny-Michaela Reisin Berlin, 26. Juli 2009




An den


Bundespräsidenten


Herrn Prof. Dr. Horst Köhler


Spreeweg 1



10557 Berlin





Sehr geehrter Herr Bundespräsident,


mit dem vorliegenden Brief möchte ich Ihnen und allen Beteiligten für die Ehrung von Felicia Langer mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse von ganzem Herzen danken.



Die vielen Verdienste dieser mutigen, weltweit geschätzten und – das ist sehr besonders – allerorts wirklich geliebten Streiterin für Recht und Gerechtigkeit müssen hier nicht buchhalterisch aufgeführt werden. Sie wurden in Ihrem Hause ohnehin sorgfältig recherchiert und mit Bedacht zusammengetragen. Davon zeugt nicht zuletzt auch die Würdigung, die Staatssekretär Hubert Wicker der Laureatin anlässlich des Staatsakts der Verleihung des Verdienstkreuzes in Ihrem sowie im Namen des Ministerpräsidenten und der Mitglieder der Landesregierung Baden-Württemberg übermittelte.



Zudem ist Felicia Langer keine Unbekannte. International geschätzt für ihre Tätigkeit als Anwältin noch in Israel, die sich – über viele Jahre als einzige – bereit gefunden hatte, Palästinensern in den von Israel besetzten Gebieten aber auch innerhalb des Landes Rechtsbeistand zu leisten, wurde sie 1990 mit der wohl renommiertesten nichtstaatlichen Auszeichnung, dem „Right Livelihood Award“ geehrt, der in Schweden als „Alternativer Nobelpreis“ verliehen wird.



Gestatten Sie bitte, dass ich vor diesem Hintergrund meine hohe Wertschätzung der Ehrung des Lebenswerks von Felicia Langer in der Bundesrepublik Deutschland persönlich und nicht allgemein begründe.



Sehr verehrter Herr Bundespräsident, ich kann Ihnen versichern, dass die Nachricht über das bedeutsame Ereignis der hohen Auszeichnung von Felicia Langer unzähligen Menschen im In- und Ausland überaus große Freude bereitete. Darunter viele, die wie ich jüdischer Herkunft sind. Ich erwähne dies deshalb, weil die von Felicia Langer vorgelebte Zivilcourage keineswegs selten gerade von Juden und Jüdinnen – sei es hierzulande, in Israel, den USA und anderenorts –  mit großer Hochachtung gewürdigt, wenn nicht im Stillen sogar bewundert wird:


„Eine von uns“, die an den unermesslichen, nie heilbaren Verwundungen, die ihr und ihrem geliebten Gatten und Mitstreiter Mieciu Langer in den finsteren Jahren der Vorherrschaft der deutschen Nationalsozialisten in Europa zugefügt worden waren, nicht zerbrach.


„Eine von uns“, die seit ihren jungen Jahren – ein Leben lang – an der seelischen Bürde der „Überlebenden“, schreckliches Unrecht erfahren sowie nächste Angehörige in größter Not für immer verloren zu haben, trägt und dennoch nicht müde wird, für Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit zu streiten.


„Eine von uns“, die „trotz alledem“ unverzagt zwischenmenschliche Überlebensbrücken baut und unerschrocken – unter Einsatz ihrer Lebenszeit und Gesundheit – schützt.



Die Laureatin selbst betont stets, dass ihr unverdrossenes Engagement der zuversichtlichen Lebenszugewandtheit entspringt, der sie und ihr Gatte Mieciu sich sehr bewusst nicht „trotz – “, sondern „wegen alledem“ verschrieben haben. Eine alter-Liebe, die sie seit 60 Jahren beflügelt, jeder Form von Unrecht, Hass und Gewalt leidenschaftlich und zugleich so überzeugend entgegenzutreten.



Für mich hat die Auszeichnung jedoch noch eine weitere Bedeutung. In Deutschland lebend nehme ich dieses Ereignis als hoffnungsvolles Zeichen dafür wahr, dass jenes „Nie Wieder“, das die Überlebenden von Auschwitz, Birkenau, Buchenwald, Ravensbrück sowie anderer Todeslager sich selbst und uns Nachgeborenen aufgaben, in der Bundesrepublik Deutschland auch an höchster Stelle im Sinne eines teuren Vermächtnisses wachgehalten und mit Leben gefüllt wird.



Felicia Langer selbst hätte sich eine Ehrung, vergleichbar mit der ihr in Deutschland zuteil gewordenen, sicher am meisten vom Staat Israel gewünscht. Für mich steht außer Zweifel, dass die Laureatin eines Tages auch dort zu höchsten Ehren gelangen wird. Ich konnte mich während vieler Besuche in Israel, in Palästina, den USA, Kanada sowie in Ländern unseres Kontinents immer wieder von der breiten internationalen Bekanntheit und Anerkennung von Felicia Langer überzeugen sowie mehr noch von der Zuneigung und ja, wirklichen Liebe, die sie mit ihrem Lebenswerk gestiftet hat. Letztlich nicht nur im Interesse der Palästinenser und Widersacher der israelischen Besatzung, sondern insbesondere auch im Interesse der Israelis. In diesem Sinne nehme ich die Auszeichnung von Felicia Langer durch die Bundesrepublik Deutschland auch als Zeichen dafür wahr, dass ihre Botschaft hierzulande verstanden wird.



Mir ist freilich bekannt, dass Israel Deutschland zu seinen besten Freunden zählt. Auch will ich nicht verhehlen, dass ich – ähnlich wie die Laureatin – mit der Tatsache hadere, dass sich bisher keine Bundesregierung bereit gefunden hat, ihr internationales Ansehen und politisches Gewicht mit dem nötigen Nachdruck, gegen das Besatzungsregime einzubringen, das von Israel in Verletzung des internationalen Rechtssystems, das die Völkergemeinschaft sich nach dem Zweiten Weltkrieg gab, seit nunmehr 42 Jahren in der Westbank und Ostjerusalem sowie auch noch in Gaza aufrechterhalten wird.



Umso größer ist meine Freude darüber, dass mit der Auszeichnung von Felicia Langer, zumindest deutlich demonstriert wird, dass Andersdenkende hierzulande nicht nur frei atmen und wirken, sondern auch höchste staatliche Anerkennung finden können.


Ich wüsste keinen besseren Beleg für eine lebendige Demokratie.



Ihre Entscheidung, sehr geehrter Herr Bundespräsident, Felicia Langer mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse zu ehren, gereicht zugleich all jenen zu Ehren, die „Nie Wieder“ schworen und diesem ihrem Schwur zeitlebens treu geblieben sind.



In diesem Sinne großen Dank noch einmal.


Hochachtungsvoll




Fanny-Michaela Reisin


Gründungsmitglied der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost –


European Jews for a Just Peace Germany



Kopie:


Staatssekretär im Staatsministerium Baden-Württemberg, Herr Hubert Wicker